Neuromancer-Trilogie
attraktiv wärst, hättest du viel weniger Aufsehen erregt.«
Marly schüttelte den Kopf.
»Und die Fälschung war Alains Werk. Du warst unschuldig. Hast du das vergessen?«
Marly ging in dem abgetragenen Bademantel ins Bad, ohne etwas zu erwidern.
Hinter dem Wunsch der Freundin, sie zu trösten und ihr zu helfen, spürte Marly bereits die Ungeduld, die sich einstellt, wenn man gezwungen ist, sein winziges Apartment mit einem miesepetrigen, nichtzahlenden Gast zu teilen.
Und Andrea hatte ihr das Fahrgeld für den Eurotrans borgen müssen …
Mit einer bewussten, schmerzhaften Willensanstrengung riss sie sich von diesen Gedanken los, die sich ewig im Kreis drehten, und tauchte in den dichten, aber gemächlichen Strom seriöser Belgier auf Einkaufsbummel ein.
Ein Mädchen in einer leuchtenden Röhrenjeans und der übergroßen Lodenjacke eines Freundes schob sich an ihr vorbei, streifte sie und lächelte. An der nächsten Kreuzung bemerkte Marly ein Geschäft mit der Mode, auf die sie in ihrer Studentenzeit gestanden hatte. Die Sachen wirkten unglaublich jung.
In ihrer verkrampften, verborgenen Hand das Fax.
Galerie Duperey, 14 Rue au Beurre, Bruxelles.
Josef Virek.
Die Empfangsdame im kühlen, grauen Vorzimmer der Galerie Duperey hätte durchaus dort gewachsen sein können, eine hübsche, wahrscheinlich giftige Pflanze, die hinter einer polierten Marmorplatte mit eingelegter, emaillierter Tastatur Wurzeln geschlagen hatte. Sie hob ihre schimmernden Augen, als Marly nähertrat. Marly stellte sich das Klicken und Surren von Blenden vor, während das Bild ihrer ungepflegten Erscheinung im Nu in irgendeinen fernen Winkel von Josef Vireks Imperium weitergeleitet wurde.
»Marly Kruschkowa«, sagte sie und kämpfte gegen den Impuls an, das zerknüllte Fax hervorzuziehen und auf dem kühlen, makellosen Marmor kläglich glattzustreichen. »Ich möchte zu Herrn Virek.«
»Fräulein Kruschkowa«, sagte die Dame vom Empfang, »Herr Virek ist heute leider nicht in Brüssel.«
Marly starrte auf die perfekten Lippen. Sie spürte den Schmerz, den diese Worte verursachten, und zugleich das durchdringende Lustgefühl, das Enttäuschungen neuerdings bei ihr auslösten. »Ich verstehe.«
»Er möchte das Gespräch jedoch gern über eine Sensorverbindung führen. Wenn Sie bitte durch die dritte Tür links eintreten wollen …«
Der Raum war kahl und weiß. An zwei Wänden hingen ungerahmte, anscheinend wasserfleckige Kartons, die wiederholt mit verschiedensten Instrumenten durchstochen waren. Katatonenkunst . Konservativ. Arbeiten von der Sorte, wie man sie den Ausschüssen anbietet, die von den Vorständen holländischer Privatbanken herumgeschickt werden.
Sie setzte sich auf eine niedrige, ledergepolsterte Bank und ließ endlich das Fax los. Sie war allein, nahm jedoch an, dass sie irgendwie beobachtet wurde.
»Fräulein Kruschkowa.« Ein junger Mann in einem dunkelgrünen Technikerknittel stand in der Tür gegenüber jener, durch die sie eingetreten war. »Gleich durchqueren Sie bitte das Zimmer und gehen durch diese Tür. Umschließen Sie den Türknauf bitte langsam, aber fest, so dass der größtmögliche Kontakt mit der Haut ihrer Handfläche hergestellt wird. Gehen Sie vorsichtig hindurch. Sie werden eine ganz kleine räumliche Desorientierung verspüren.«
Sie blinzelte. »Ich würde gern …«
»Die Sensorverbindung«, sagte er und verschwand. Die Tür schloss sich hinter ihm.
Sie stand auf, versuchte, das feuchte Revers ihrer Jacke einigermaßen in Form zu bringen, griff sich ans Haar, überlegte es sich dann aber doch anders, holte tief Luft und ging zur Tür hinüber. Nach dem, was die Empfangsdame gesagt hatte, rechnete sie mit der einzigen sensorischen Verbindung, die sie kannte: dem Simstim-Signal via Bell Europa. Sie hatte angenommen, sie würde einen mit Dermatroden gespickten Helm bekommen und Virek würde sich eines passiven Beobachters bedienen, der als menschliche Kamera fungierte.
Aber Vireks Reichtum bewegte sich in ganz anderen Dimensionen.
Als sich ihre Finger um den kalten Messingknauf legten, schien er sich zu winden und in der ersten Sekunde des Kontakts ein ganzes Spektrum von Oberflächenstrukturen und Temperaturen zu durchlaufen.
Dann wurde er wieder zu Metall, zu grünlackiertem Eisen, das ausschwang und in der Perspektive zu einem alten, abwärts führenden Geländer wurde, an dem sie sich nun verdutzt festhielt.
Ein paar Regentropfen wirbelten ihr ins Gesicht.
Der
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