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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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die Stirn. Der Junge hielt etwas in den Händen, eine Art Kästchen.
    »Gaudi begann mit der Arbeit an seinem Park im Jahre 1900«, sagte Virek. »Paco trägt die Kleidung jener Zeit. Komm her, Kind. Zeig uns, was du da Schönes hast.«
    »Señor«, lispelte Paco, verbeugte sich und trat vor, um das Ding in seinen Händen zu präsentieren.
    Marly machte große Augen. Ein Kästchen aus schlichtem Holz mit gläserner Front. Objekte …
    »Cornell«, sagte sie und hatte die Tränen vergessen. »Cornell?« Sie drehte sich zu Virek hin.
    »Natürlich nicht. Das in dieses Knochenstück eingesetzte Objekt ist ein Biomonitor von Braun. Das ist das Werk eines lebenden Künstlers.«
    »Gibt es noch mehr? Mehr Kästen?«
    »Ich habe sieben gefunden. Innerhalb von gerade drei Jahren. Sehen Sie, die Virek-Kollektion ist eine Art schwarzes Loch. Die unnatürliche Konzentration meines Reichtums übt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die erlesensten Werke des menschlichen Geistes aus. Ein autonomer Prozess, dem ich für gewöhnlich wenig Beachtung schenke …«
    Aber Marly war in den Kasten vertieft, der ungeheure Distanzen, Verlust und Sehnsucht evozierte. Er war melancholisch, sanft und irgendwie kindlich. Er barg sieben Gegenstände.
    Den schlanken, gerillten Knochen, der zweifellos zum Fliegen geschaffen war und vom Flügel eines großen Vogels stammte. Drei altertümliche Platinen mit goldenen Labyrinthen.
Eine glatte weiße Kugel aus gebranntem Ton. Ein vom Alter geschwärztes Stück Spitze. Ein fingerlanges, grauweißes Knochensegment, vermutlich von einem menschlichen Unterarm, in das fein säuberlich der Siliziumschaft eines kleinen Instruments eingelassen war, das einst wohl bündig auf der Haut aufgelegen hatte; allerdings war das Oberteil des Instruments verkohlt und rußig.
    Der Kasten war ein Universum, ein Gedicht, erstarrt an der Grenze menschlicher Erfahrung.
    » Gracias , Paco.« Kasten und Knabe waren verschwunden.
    Marly sperrte den Mund auf.
    »Oh. Verzeihen Sie. Ich habe nicht daran gedacht, dass diese Übergänge zu abrupt für Sie sind. Nun müssen wir aber Ihren Auftrag besprechen.«
    »Herr Virek«, sagte sie, »was ist ›Paco‹?«
    »Ein Subprogramm.«
    »Ich verstehe.«
    »Ich habe Sie engagiert, um den Schöpfer des Kastens zu suchen.«
    »Aber, Herr Virek, mit Ihren Mitteln …«
    »Zu denen nun auch Sie zählen, mein Kind. Wollen Sie nicht für mich arbeiten? Als mir zu Ohren kam, dass Gnass mit einem gefälschten Cornell betrogen wurde, dachte ich, Sie könnten in dieser Sache von Nutzen sein.« Er zuckte mit den Achseln. »Sie müssen zugeben, dass ich ein gewisses Talent habe, das, was ich mir in den Kopf setze, auch zu erreichen.«
    »Sicher, Herr Virek. Und ja, ich will für Sie arbeiten!«
    »Sehr schön. Sie bekommen ein Gehalt. Sie haben Zugang zu bestimmten Geldern. Sollten Sie allerdings, sagen wir, größere Mengen von Immobilien erwerben müssen …«
    »Immobilien?«
    »Oder eine Firma oder ein Raumschiff – nun, in dem Fall brauchen Sie meine indirekte Zustimmung, die Sie ziemlich
sicher bekommen werden. Ansonsten haben Sie freie Hand. Ich würde Ihnen aber raten, in einem Rahmen zu arbeiten, mit dem Sie selbst gut umgehen können. Andernfalls laufen Sie Gefahr, Ihre Intuition zu verlieren, und Intuition ist in einem Fall wie diesem von entscheidender Bedeutung.« Das berühmte Lächeln erstrahlte noch einmal für sie.
    Sie holte tief Luft. »Herr Virek, was ist, wenn ich es nicht schaffe? Wie viel Zeit habe ich, um diesen Künstler zu finden?«
    »Bis an ihr Lebensende«, sagte er.
    »Verzeihen Sie«, hörte sie sich zu ihrem Entsetzen sagen, »aber wenn ich Sie recht verstanden habe, leben Sie in … in einer Nährlösung?«
    »Ja, Marly. Und aus dieser ziemlich endgültigen Perspektive kann ich Ihnen nur raten, jede Stunde im eigenen Fleisch bewusst zu leben. Nicht in der Vergangenheit, wenn Sie mich verstehen. Ich spreche als jemand, der diesen simplen Zustand nicht mehr verträgt, nachdem sich meine Körperzellen allesamt entschieden haben, ihrer eigenen verstiegenen Wege zu gehen. Einen glücklicheren oder ärmeren Mann als mich hätte man längst sterben lassen oder ihn codiert in ein Stück Hardware gepackt. Ich jedoch zapple in einem monströsen Netz von Umständen, das meines Wissens ein Zehntel meiner jährlichen Einkünfte verschlingt. Damit dürfte ich der teuerste Invalide der Welt sein. Ihre Herzensangelegenheiten sind mir nahegegangen, Marly. Ich beneide Sie um

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