Neuromancer-Trilogie
makellos sauber und hatte messerscharfe Bügelfalten.
Turner war selber die meiste Zeit seines Ewachsenenlebens Soldat gewesen, obwohl er nie eine Uniform getragen hatte. Ein Söldner im Dienst großer Konzerne, die insgeheim um die Kontrolle ganzer Wirtschaftssysteme kämpften. Er war Spezialist im Abwerben von Spitzenleuten aus Management und Forschung. Die Multis, für die er arbeitete, würden nie zugeben, dass es Leute wie ihn gab.
»Hast dich gestern Abend fast durch’ne ganze Flasche Herradura gekämpft«, sagte sie.
Er nickte. Ihre Hand lag warm und trocken in seiner. Er beobachtete, wie sich ihre Zehen beim Auftreten spreizten. Der pinkfarbene Lack auf den Nägeln blätterte ab. Die Brecher rollten herein. Ihre Kämme waren transparent wie grünes Glas.
Die Gischt bildete Perlen auf ihrer Sonnenbräune.
Nach ihrem ersten gemeinsamen Tag lebten sie nach einem simplen Muster. Sie frühstückten im Mercado an einem Stand mit einer abgenutzten Betontheke, die so glatt war wie polierter Marmor. Die Vormittage verbrachten sie mit Schwimmen, bis die Sonne sie zum Rückzug in das kühle Hotel mit den geschlossenen Fensterläden zwang, wo sie sich unter den trägen Holzflügeln des Deckenventilators liebten. Dann schliefen sie. An den Nachmittagen erkundeten sie das Gewirr der Gassen hinter der Avenida oder wanderten in den Bergen. Am Abend aßen sie in Strandrestaurants und tranken auf weißen Hotelterrassen.
Mondlicht kräuselte sich in der auflaufenden Brandung.
Und mit der Zeit brachte sie ihm ohne Worte eine neue Liebestechnik bei. Er war es gewohnt, von geschickten Profis auf anonyme Weise bedient zu werden. Nun kniete er in der weißen Höhle auf den Fliesen. Er senkte den Kopf und leckte sie; Pazifiksalz mischte sich mit ihren Säften, ihre Schenkelinnenseiten lagen kühl an seinen Wangen. Seine Hände umfassten ihre Taille, und er hielt sie fest, hob sie wie einen Kelch, seine Lippen pressten sich an sie, und er suchte mit der Zunge die Stelle, den Punkt, die Frequenz, die es ihr brachte. Dann bestieg er sie lächelnd, drang in sie ein und kam selber ans Ziel.
Manchmal redete er danach, lange Ketten unkoordinierter Sätze, die sich davonschlängelten und eins wurden mit dem Rauschen des Meeres. Sie sagte sehr wenig, aber das wenige, das sie sagte, hatte er zu schätzen gelernt. Und immer hielt sie ihn in den Armen und hörte ihm zu.
Eine Woche verging. Dann noch eine. An ihrem letzten gemeinsamen Tag wachte er in dem kühlen Zimmer auf und fand sie neben sich. Beim Frühstück glaubte er, eine Veränderung bei ihr zu spüren, eine Anspannung.
Sie sonnten sich und schwammen, und im vertrauten Bett vergaß er die aufkeimende Besorgnis.
Am Nachmittag schlug sie einen Strandspaziergang Richtung Barre vor, wie an jenem ersten Morgen.
Turner zog den Staubschutz aus der Buchse hinter dem Ohr und steckte einen Mikrosoft ein. Die Struktur der spanischen Sprache nahm in ihm Gestalt an wie ein gläserner Turm; unsichtbare Pforten waren an Präsens und Futur, Konditional und Präteritoperfekt eingehängt. Er ließ Allison allein im Zimmer, überquerte die Avenida und betrat den Markt. Er kaufte einen Strohkorb, gekühltes Dosenbier, Sandwiches und Obst.
Auf dem Rückweg erstand er bei einem Händler auf der Avenida eine neue Sonnenbrille.
Seine Bräune war gleichmäßig und intensiv. Das eckige Flickwerk, das die Transplantate des Holländers hinterlassen hatten, war verschwunden, und Allison hatte ihm beigebracht, dass sein Körper eine Einheit war. Wenn er morgens im Badezimmerspiegel die grünen Augen sah, dann waren es seine eigenen, und der Holländer verfolgte ihn nicht mehr mit seinen schlechten Witzen und seinem trockenen Husten im Traum. Manchmal träumte er noch bruchstückhaft von Indien, einem Land, das er kaum kannte. Bunte Splitter, Chandni Chauk, der Geruch von Staub und in Fett gebackenem Brot …
Die Mauern der Hotelruine standen im Bogen der Bucht, etwa auf einem Viertel des Weges. Die Brandung war stärker hier; jede Welle war eine Detonation.
Diesmal schleppte sie ihn hin, mit einem neuen, angespannten Ausdruck in den Augenwinkeln. Möwen flogen auf, als sie Hand in Hand über den Strand näherkamen und in das Dunkel hinter leeren Türrahmen spähten. Der Sand hatte nachgegeben, so dass die Fassade eingestürzt war. Die Mauern waren verschwunden, und die Zwischendecken der drei Geschosse hingen wie riesige Schindeln an verbogenen, verrosteten Sehnen aus fingerdickem Stahl.
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