Neuromancer-Trilogie
In jedem Geschoss hatte der Boden eine andere Farbe und ein anderes Fliesenmuster.
HOTEL PLAYA DEL M war in kindlichen Lettern aus Muscheln über einem Betonbogen zu lesen. »Mar«, ergänzte Turner, obwohl er das Mikrosoft wieder rausgenommen hatte.
»Es ist aus«, sagte sie und ging unter dem Bogen hindurch ins Dunkel.
»Was ist aus?« Er folgte ihr. Der Strohkorb scheuerte an seiner Hüfte. Der Sand hier war kalt und trocken und rieselte zwischen den Zehen hindurch.
»Aus und vorbei. Damit. Keine Zeit, keine Zukunft hier.«
Er schaute sie an, blickte an ihr vorbei zu einem Haufen rostiger Sprungfedern in einer Ecke zwischen zwei brüchigen Mauern. »Stinkt nach Pisse«, sagte er. »Gehn wir schwimmen.«
Das Meer half gegen das frostige Gefühl, aber die Distanz zwischen ihnen blieb. Sie setzten sich auf eine Decke aus Turners Zimmer und aßen schweigend. Der Schatten der Ruine wurde länger. Der Wind spielte mit Allisons sonnengestreiftem Haar.
»Du erinnerst mich an Pferde«, sagte er schließlich.
»Tja«, meinte sie, als wäre sie zutiefst erschöpft, »die sind ja auch erst seit dreißig Jahren ausgestorben.«
»Nein«, sagte er, »ihr Haar. Das Haar in ihrem Nacken, wenn sie laufen.«
»Die Mähne«, sagte sie, und Tränen standen in ihren Augen. »Verdammt.« Ihre Schultern begannen zu zucken. Sie holte tief Luft und warf die leere Carta-Blanca-Dose in den Sand. »Es, ich, was soll’s?« Die Arme schlossen sich wieder um ihn. »Ach komm, Turner. Komm.«
Als sie sich zurücklegte und ihn mit sich zog, fiel ihm etwas auf: ein Boot, so weit entfernt, dass es wie ein weißer Gedankenstrich aussah, dort, wo Wasser und Himmel verschmolzen.
Als er sich aufsetzte und seine abgeschnittene Jeans anzog, sah er die Jacht. Sie war jetzt viel näher, ein elegantes weißes Ding, das flach im Wasser lag. In tiefem Wasser. Der Strand musste hier nahezu lotrecht abfallen, der Brandung nach zu urteilen. Das war wohl auch der Grund, weshalb die Kette der Hotels weiter hinten am Strand endete und warum die Ruine nicht überdauert hatte. Die Wellen hatten das Fundament unterspült.
»Gib mir den Korb.«
Sie knöpfte sich die Bluse zu, die er ihr in einem der müden, kleinen Läden auf der Avenida gekauft hatte. Stahlblaue mexikanische Baumwolle, schlecht verarbeitet. Die Klamotten, die man in den Läden bekam, hielten selten länger als ein, zwei Tage.
»Ich sagte, gib mir den Korb.«
Sie tat es. Er wühlte in den Überbleibseln ihres Nachmittags und fand sein Fernglas unter einem Beutel mit Ananas in Scheiben, die mit Limone beträufelt und mit Cayenne bestreut waren. Er zog es hervor. Es war ein kompakter 6 x 30-Feldstecher. Er klappte die integrierten Schutzkappen auf den Objektiven und den gepolsterten Okularen zurück und musterte die stromlinienförmigen Ideogramme des Hosaka-Logos. Ein gelbes Schlauchboot umrundete das Heck und hielt auf den Strand zu.
»Turner, ich …«
»Steh auf.« Er stopfte die Decke und ihr Handtuch in den Korb, nahm eine letzte warme Dose Carta Bianca heraus und stellte sie neben das Fernglas. Er stand auf, zog sie schnell auf die Beine und drückte ihr den Korb in die Hand. »Vielleicht irre ich mich«, sagte er. »Falls ja, dann verschwinde. Lauf zu dem zweiten Palmengehölz da drüben.« Er zeigte hin. »Geh nicht ins Hotel zurück. Fahr mit dem Bus nach Manzanillo oder Vallarta. Ab nach Hause.« Schon hörte er den Außenbordmotor brummen.
Er sah, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, aber sie gab keinen Laut von sich, als sie sich umdrehte und losrannte, an der Ruine vorbei, den Korb fest an sich gedrückt, und in einer Sanddüne stolperte. Sie blickte nicht zurück.
Dann wandte er sich um und schaute zu der Jacht hinaus. Das Schlauchboot hüpfte durch die Brandung. Die Jacht hieß Tsushima , und er hatte sie zuletzt in der Bucht von Hiroshima gesehen. Von ihrem Deck aus hatte er das rote Shinto-Tor bei Itsukushima gesehen.
Auch ohne das Fernglas wusste er, dass der Passagier im Schlauchboot Conroy, der Mann am Ruder ein Ninja von Hosaka war. Turner setzte sich im Schneidersitz in den abkühlenden Sand und öffnete seine letzte Dose mexikanisches Bier.
Er blickte zu der Reihe weißer Hotels zurück, die Hände auf die Teakholzreling der Tsushima gestützt. Hinter den Hotels leuchteten die drei Hologramme des Städtchens: Banamex, Aeronaves und die sechs Meter hohe Maria der Kathedrale.
Conroy stand neben ihm. »Dringender Job«, sagte Conroy. »Du
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