Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
Hemden hingen ihnen weit über die Knie. Ihre dunklen Gesichter wurden von den Krempen weicher Filzhüte
beschattet, die mit allerlei antikem, goldenem Schnickschnack bestückt waren: Haarnadeln, Amuletten, Zähnen, mechanischen Uhren. Bobby beobachtete sie verstohlen; die Kleidung verriet, dass sie Geld hatten, aber auch, dass irgendwer einem gründlich die Hölle heißmachen würde, wenn man dranzukommen versuchte. Two-a-Day war mal in so einem eisblauen Veloursanzug mit diamantbesetzten Knieschnallen aus den Projects runtergekommen, als hätte er keine Zeit mehr gehabt, sich umzuziehen, aber Bobby hatte so getan, als wäre der Software-Händler in seiner üblichen Lederkluft erschienen, weil eine weltoffene Einstellung seiner Meinung nach ausschlaggebend war im Geschäft.
    Er stellte sich vor, wie er locker zu ihnen ging und sie einfach drauf ansprach. He, ihr beiden Hübschen, ihr kennt doch bestimmt meinen guten Freund, Mr. Two-a-Day, oder? Aber sie waren älter und größer als er, und ihr würdevolles Gebaren schüchterte ihn ein. Wahrscheinlich würden sie einfach nur lachen, und darauf konnte er gut verzichten.
    Worauf er nun allerdings nicht länger verzichten konnte, war etwas zu essen. Durch den Stoff seiner Jeans hindurch betastete er seinen Kreditchip. Er würde über die Straße gehen und sich ein Sandwich holen … Dann fiel ihm wieder ein, warum er hier war, und plötzlich schien es ihm nicht sonderlich klug zu sein, den Chip zu benutzen. Wenn er nach seinem versuchten Run aufgespürt worden war, dann hatten sie mittlerweile seine Chipnummer. Wenn er sie benutzte, würde er damit jeden, der ihn im Cyberspace suchte, auf sich aufmerksam machen; er würde im Gitter von Barrytown so unübersehbar sein wie eine Leuchtkugel in einem dunklen Footballstadion. Er hatte sein Bargeld, aber damit konnte man kein Essen kaufen. Es war zwar nicht gerade illegal, so was zu besitzen, aber es wickelte einfach niemand legale Geschäfte damit ab. Er musste also einen Gothick mit einem Chip aufreißen,
sich einen Kredit in Höhe eines Neuen Yen kaufen, wofür er wohl ordentlich was drauflegen musste, und den Gothick dann das Essen bezahlen lassen. Aber in welcher Form sollte er das Wechselgeld einkassieren, verdammt?
    Vielleicht siehst du bloß Gespenster, sagte er sich. Er wusste nicht mit Sicherheit, dass er zurückverfolgt worden war, und die Basis, die er hatte knacken wollen, war legal, angeblich jedenfalls. Deshalb hatte Two-a-Day ihm erklärt, er brauche sich keine Sorgen wegen schwarzem Eis zu machen. Wer packte einen Laden, der Softpornos verlieh, schon mit tödlichen Rückkopplungsprogrammen voll? Er hatte eigentlich nur ein paar Stunden digitalisiertes Kino abzapfen wollen, neues Material, das auf dem Schwarzmarkt noch nicht zu haben war. Nicht gerade eine Beute, für die man von irgendwem umgebracht wurde.
    Trotzdem hatte es jemand versucht. Und dann war noch was anderes passiert. Was ganz anderes. Bobby stapfte wieder die Stufen hinauf und verließ das Leon’s. Ihm war klar, dass er bei weitem nicht alles über die Matrix wusste, aber so was Merkwürdiges war ihm noch nicht zu Ohren gekommen. Sicher, es gab Gespenstergeschichten und Hotdogger, die schworen, im Cyberspace irgendwas gesehen zu haben, aber Bobby hatte sie für Wilsons gehalten, die auf Dust reingegangen waren; in der Matrix konnte man ebenso gut halluzinieren wie überall sonst auch …
    Vielleicht war es das, dachte er. Die Stimme war bloß ein Element des Sterbens, des Hirntods, irgendein Humbug, den das Gehirn hervorbrachte, damit es einem ein bisschen besser ging, und am anderen Ende war irgendwas passiert, vielleicht ein Stromausfall in deren Teil des Gitters, so dass das Eis die Kontrolle über sein Nervensystem verloren hatte.
    Vielleicht. Aber sicher war er nicht. Er kannte sich da nicht so aus. Seine Unwissenheit hatte in letzter Zeit an ihm zu
nagen begonnen, weil sie ihn daran hinderte, die erforderlichen Schritte zu tun. Er hatte noch nie viel darüber nachgedacht, aber er hatte wirklich von nichts sonderlich viel Ahnung. Bis er als Hotdogger angefangen hatte, war er der Meinung gewesen, alles zu wissen, was er wissen musste. Genau das war die Geisteshaltung der Gothicks, und deshalb blieben sie hier, machten sich mit Dust kaputt oder ließen sich von den Kasuals erledigen. Bei diesem Verschleißprozess blieb jener Prozentsatz von ihnen übrig, der irgendwie zum nächsten Schwung kinderkriegender, Wohneigentum erwerbender

Weitere Kostenlose Bücher