Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
eines Tages aufkreuzen würden, wenn er nur nicht so ein kleines Arschloch wäre. Vielleicht, so dachte er
jetzt, stimmte das auch in gewissem Sinn; sie hatte sich den Scheiß auch während der Schwangerschaft ständig reingezogen, das hatte sie ihm selber gesagt, also hatte er – der kleine kauernde Fötus Newmark in ihrem Bauch – an die tausend Stunden Bedeutende Menschen und Atlanta abbekommen. Allerdings dachte er nicht gern daran, dass er in Marsha Newmarks Bauch gesteckt hatte. Er bekam Schweißausbrüche davon und ein flaues Gefühl im Magen.
    Marsha-Mama. Erst im letzten Jahr hatte Bobby – so sah er es jetzt – genug von der Welt begriffen, um sich zu fragen, wie sie es eigentlich schaffte, in dieser Welt zu bestehen, auch wenn sie in Gesellschaft ihrer Flasche und der Gespenster aus der Buchse nur so dahinvegetierte. Manchmal, wenn sie in Stimmung war und das richtige Quantum intus hatte, versuchte sie noch immer, ihm etwas über seinen Vater zu erzählen. Obwohl er schon mit vier gemerkt hatte, dass diese Geschichten erstunken und erlogen waren – die Details änderten sich nämlich von Zeit zu Zeit -, hatte er dennoch jahrelang einen gewissen Spaß daran gehabt.
    Ein paar Blocks westlich vom Leon’s kam er an eine Laderampe, die durch einen frisch gestrichenen blauen Müllcontainer gegen die Straße abgeschirmt war. Die frische Farbe glänzte auf dem zernarbten, verbeulten Eisen. Über der Rampe hing eine einzelne Halogenröhre. Er fand einen bequemen Betonvorsprung, auf den er sich setzte, wobei er darauf achtete, dass der Ono-Sendai nichts abbekam. Manchmal musste man eben einfach warten. Das war eine der Lektionen, die er von Two-a-Day gelernt hatte.
    Der Container quoll über von Industrieabfällen aller Art. Barrytown hatte seinen Anteil an Herstellern grauer Ware, Elementen der »Schattenwirtschaft«, von der die Gesichter in den Nachrichten gern schwätzten, aber Bobby gab nichts auf die Gesichter in den Nachrichten. Geschäft. Alles bloß Geschäft.

    Nachtfalter umschwirrten die Halogenlampe in unregelmäßigen, stroboskopischen Kreisen. Bobby verfolgte ohne Interesse, wie drei Kinder von höchstens zehn Jahren die blaue Wand mit einem dreckigen weißen Nylonseil und einem behelfsmäßigen Enterhaken erklommen, der vielleicht von einem Kleiderständer stammte. Als das letzte Kind oben angelangt und im Plastikabfall verschwunden war, wurde die Leine rasch eingeholt. Im Müll begann es zu rumoren.
    Genau wie ich, dachte Bobby. Ich hab auch so’nen Scheiß gemacht und mir mit komischem Zeug aus dem Müll das Zimmer vollgestellt. Einmal hatte Ling Warrens Schwester einen fast kompletten Menschenarm gefunden, in grüne Plastikfolie eingewickelt und mit Gummibändern drumrum.
    Hin und wieder bekam Marsha-Mama ihre religiösen Anfälle, die zwei Stunden dauerten; dann marschierte sie in Bobbys Zimmer, warf seine besten Müllfunde raus und pappte ihm irgendein ätzendes, selbstklebendes Hologramm übers Bett. Ob Jesus oder Hubbard oder die Jungfrau Maria, spielte keine große Rolle für sie, wenn sie richtig in Fahrt war. Bobby war jedesmal stinksauer, bis er eines Tages, als er groß genug war, mit einem Schlosserhammer ins Wohnzimmer ging und ihn über dem Hitachi schwang. Wenn du noch einmal meine Sachen anrührst, bring ich deine Freunde um, Mom, allesamt! Sie tat es nie wieder. Allerdings hatten die Hologramm-Aufkleber durchaus eine Wirkung auf Bobby gehabt, denn schließlich hatte er sich mit Religion beschäftigt, und das Thema war für ihn abgehakt. Wie er die Dinge sah, gab es halt einfach Leute, die den Scheiß brauchten; die hatte es wohl schon immer gegeben, aber er gehörte nun mal nicht zu ihnen, also brauchte er ihn auch nicht.
    Jetzt tauchte eins der Müllkinder aus dem Abfall auf, inspizierte schlitzäugig die unmittelbare Umgebung und verschwand
dann wieder. Ein Klappern und Kratzen ertönte. Kleine weiße Hände bugsierten einen verbeulten Kanister aus irgendeiner Legierung nach oben und über den Rand und ließen ihn an dem Nylonseil ab. Guter Fang, dachte Bobby; bei einem Metallhändler kriegte man schon ein bisschen was dafür. Sie ließen das Ding etwa einen Meter vor Bobbys Stiefeln aufs Pflaster herunter. Beim Aufsetzen drehte es sich zufällig, so dass Bobby das auf biologische Gefahren hinweisende Zeichen mit den sechs Spitzen sah. »Fuck, ey«, sagte er und zog reflexartig die Beine an.
    Eins der Kinder glitt am Seil herunter und hielt den Behälter fest. Die anderen

Weitere Kostenlose Bücher