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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Hinter dem ersten Block von Baiitsu, in Richtung Hafen, stand ein unscheinbares, zehnstöckiges Bürohaus mit häßlicher, gelber Ziegelfassade. Seine Fenster waren nun dunkel, aber auf dem Dach war ein schwacher Lichtschein zu sehen, wenn man den Hals streckte. Ein abgeschaltetes Neonzeichen beim Haupteingang verkündete CHEAP HOTEL unter einem Schwung von Schriftzeichen. Falls der Laden einen ande—24
    ren Namen hatte, kannte Case ihn nicht; es wurde immer von ›Cheap Hotel‹ gesprochen. Man erreichte es über eine Seitenstraße von Baiitsu, wo am Fuße eines transparenten Schachts ein Aufzug wartete. Der Aufzug war wie das Cheap Hotel nachträglich eingerichtet und mit Bambus und Epoxid ans Gebäude geheftet worden. Case trat in die Plastikkabine und benutzte seinen Schlüssel, einen unmarkierten Streifen aus starrem Magnet—band.
    Case hatte hier seit seiner Ankunft in Chiba einen Sarg auf wöchentlicher Basis gemietet, aber noch nie im Cheap Hotel geschlafen. Er schlief an billigeren Plätzen.
    Der Aufzug roch nach Parfüm und Zigarettenrauch; die Kabinenwände
    waren verkratzt und mit dreckigen Fingerabdrücken beschmiert. Als die Kabine den fünften Stock erreichte, sah er die Lichter von Ninsei. Er trommelte mit den Fingern auf dem Pistolengriff, als die Kabine mit zunehmen—dem Knirschen allmählich langsamer wurde. Wie immer kam sie mit einem jähen Ruck vollends zum Stehen, aber darauf war er gefaßt. Er trat in den Innenhof hinaus, der als Kombination von Vorgarten und Foyer diente.
    Mitten im rechteckigen, grünen Plastikrasenteppich saß ein japanischer Teenager hinter einer C-förmigen Console und las in einem Schulbuch. Die weißen Fiberglassärge waren auf einem Baugerüst aufgereiht. Sechs Lagen mit jeweils zehn Särgen pro Seite.
    Case nickte dem Teenager zu und humpelte über den Plastikrasen zur
    nächsten Leiter. Der Hof war mit billigen, laminierten Matten überdacht, die bei Sturm klapperten und nicht regendicht waren, aber die Särge lie-
    ßen sich ohne Schlüssel ziemlich schwer öffnen. Der Laufrost wackelte unter seinem Gewicht, als er an der dritten Reihe zur Nummer 92 stapfte.
    Die Särge waren drei Meter lang, der gewölbte Deckel einen Meter breit und knapp anderthalb Meter hoch. Er schob seinen Schlüssel in den
    Schlitz und wartete auf die Freigabe durch den Hauscomputer. Magnetbolzen klapperten ermutigend, und der Deckel hob sich vertikal auf quiet—schenden Federn. Leuchtstofflampen flackerten auf, als er hineinkroch, den Deckel hinter sich zuzog und die Taste drückte, die das manuelle Schnappschloß aktivierte.
    In Nummer 92 war weiter nichts als ein üblicher Hitachi-Taschencompu—ter und eine kleine, weiße Styropor-Kühlbox. Die Box enthielt die Reste von drei 10-Kilo-Stangen Trockeneis, sorgsam in Papier gewickelt, um das 25
    Verdampfen zu verzögern, und eine Laborflasche mit Aluminiumgeflecht.
    Auf dem braunen Temperschaum kauernd, der zugleich Boden und Bett
    war, zog Case Shins 22er aus der Tasche und legte sie auf die Kühlbox.
    Dann schlüpfte er aus seinem Anorak. Der Terminal des Sargs war eingelassen in eine der konkaven Wände gegenüber einer Tafel, die in sieben Sprachen die Hausordnung verkündete. Case nahm den pink Hörer von
    der Gabel und drückte eine Nummer in Hongkong, die er auswendig wuß-
    te. Er ließ es fünf Mal läuten und hängte wieder ein. Sein Käufer für drei Megabytes12 heißer RAM13 im Hitachi nahm keine Anrufe entgegen.
    Er wählte eine Tokioer Nummer in Shinjuku.
    Eine Frau antwortete auf Japanisch.
    »Snake Man da?«
    »Freut mich sehr, von dir zu hören«, sagte Snake Man über eine Neben—stelle. »Hab deinen Anruf erwartet.«
    »Ich hab den gewünschten Schlager.« Dabei blickte er
    zur Kühlbox.
    »Das hört man gern. Wir können momentan kein Bares rüberschießen.
    Kannst du das verkraften?«
    »O Mann, ich brauch die Moneten echt dringend...«
    Snake Man hängte ein.
    »Scheißtyp!« sagte Case zum summenden Hörer. Er starrte auf die billige, kleine Pistole.
    »Zappenduster«, sagte er, »sieht zappenduster aus heut' nacht.«
    Eine Stunde vor Sonnenaufgang marschierte Case ins Chat, beide Hände in den Anoraktaschen vergraben; in der einen lag die Pistole, in der ändern die Aluflasche.
    Ratz saß an einem der hinteren Tische und trank Appolinaris aus einem Bierglas, seine hundertzwanzig Kilo teigigen Fleischs auf dem knarrenden Stuhl gegen die Wand gelehnt. Ein junger Brasilianer namens Kurt stand hinter dem Tresen und

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