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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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verschwunden.
    Case schloß die Augen, rieb sie mit tauben Fingern und lehnte sich gegen die bröcklige Ziegelmauer.
    Ninsei war viel einfacher gewesen.
    Die Arztpraxis, die Molly in Anspruch nahm, belegte zwei Geschosse eines anonymen Blocks mit Eigentumswohnungen in der Nähe des alten Stadtkerns von Baltimore. Es war ein modulares Gebäude, eine Riesen—Version des Cheap Hotel, wobei jeder Sarg vierzig Meter maß. Case be-gegnete Molly, als sie gerade aus einem davon kam, der das aufwendig gearbeitete Logo eines gewissen GERALD CHIN, ZAHNARZT trug. Sie hinkte.
    »Er sagt, wenn ich gegen was trete, fällt es ab.«
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    »Hab einen deiner Kumpel getroffen«, sagte er, »einen Modern.«
    »Ach ja? Wen denn?«
    »Lupus Yonderboy. Hatte 'ne Nachricht.« Er reichte ihr eine Papierservi—
    ette, auf der in seiner ordentlichen, schwungvollen Druckschrift mit rotem Filzstift WINTERMUTE stand. »Er sagte...« Aber sie gab ihm mit der Hand das Zeichen zum Stillsein.
    »Gehn wir Krebse essen«, sagte sie.
    Nach dem Lunch in Baltimore - Molly hatte mit beängstigender Leichtig—
    keit ihren Krebs zerlegt - fuhren sie mit der U-Bahn nach New York. Case
    hatte gelernt, keine Fragen zu stellen; sie brachten ihm nur das Zeichen
    zum Stillsein ein. Ihr Bein schien Beschwerden zu machen, und sie redete
    nicht viel.
    Ein schmächtiges, kleines Negermädchen, das im Haar straff verflochte—
    ne Holzperlen und altertümliche Widerstände trug, öffnete die Tür des
    Finnen und führte sie durch den mit Unrat vollgestopften Korridor. Case
    hatte den Eindruck, das Zeug sei inzwischen irgendwie gewachsen. Zumindest kam es ihm so vor, als verändere es sich unmerklich, vom Druck der Zeit komprimiert, als rieselten lautlos unsichtbare Flocken darüber und
    bildeten eine Mulchdecke, eine kristalline Ausfällung ausrangierter Technologie, die verborgen auf den Müllplätzen des Sprawl blühte.
    Hinter der Army-Decke wartete der Finne am weißen Tisch..
    Mit raschen Gesten zog Molly ein Stück Papier hervor, kritzelte etwas
    darauf und schob es dem Finnen zu. Er nahm es zwischen Daumen und
    Zeigefinger und hielt es von sich weg, als könnte es explodieren. Er mach-te ein Zeichen, das Case nicht verstand und das eine Mischung aus Ungeduld und düsterer Resignation darzustellen schien. Er stand auf und bürstete Krümel von der Vorderseite seiner abgetragenen Tweedjacke. Ein Schraubglas mit Salzheringen stand neben einer angebrochenen Knäcke—brot-Plastikpackung und einem blechernen Aschenbecher, der von Partagas-Kippen überquoll, auf dem Tisch.
    »Augenblick«, sagte der Finne und verschwand aus dem Zimmer.
    Molly setzte sich an seinen Platz, fuhr die Klinge ihres Zeigefingers aus und spießte damit ein graues Stück Hering auf. Case spazierte im Zimmer hin und her und befingerte beim Vorübergehen die Scanning-Anlage an
    den Säulen.
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    Nach zehn Minuten kam der Finne angeschwirrt und bleckte grinsend
    die gelben Zähne. Er nickte, gab ein Daumen-hoch-Zeichen, an Molly gerichtet, und bedeutete Case, ihm mit der Tür zu helfen. Während Case das Klettverschlußband andrückte, beförderte der Finne eine kleine, flache
    Console aus seiner Tasche und tippte eine komplizierte Sequenz ein.
    »Schätzchen«, sagte er zu Molly, wobei er die Console wieder verstaute,
    »da haste was. Kein Käse, das riech ich. Willste mir verraten, woher du's hast?«
    »Yonderboy«, sagte Molly und schob Heringsglas
    und Knäcke weg. »Hab nebenher 'nen Deal mit Larry gemacht.«
    »Clever«, meinte der Finne. »Ist 'ne AI.«
    »Immer schön der Reihe nach!« sagte Case.
    »Bern«, sagte der Finne, ohne auf Case einzugehen. »Bern. Hat unbe—
    grenzte schweizerische Staatsbürgerschaft wie nach unsrem 53er Erlaß.
    Für die Tessier-Ashpool SA gebaut. Sie besitzt den Großrechner und die
    Original-Software.«
    »Was ist in Bern, okay?« Case stellte sich mit voller Absicht zwischen die beiden.
    »Wintermute ist der Erkennungskode für eine AI. Hab die Turing-Regi—
    striernummern26. Künstliche Intelligenz27.«
    »Das ist ja ganz schön«, sagte Molly, »aber was bringt uns das?«
    »Wenn Yonderboy recht hat«, sagte der Finne, »dann steckt diese AI hinter Armitage.«
    »Ich habe Larry dafür bezahlt, Armitage durch die Moderns ein bißchen
    beschnüffeln zu lassen«, erklärte Molly, an Case gewandt. »Sie haben die
    unmöglichsten Verbindungen. Die Abmachung ist, daß sie mein Geld kriegen, wenn sie eine Frage beantworten: Wer steckt hinter

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