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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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was die Moderns angestellt hatten, um solchen
    Terror auszulösen. Er wußte, es hatte etwas mit einer falschen Katastro—
    phenmeldung zu tun, war aber zu sehr mit seinem Eis beschäftigt gewesen, um Mollys Ausführungen folgen zu können.
    »Das ist's«, sagte Case, aber sie war schon vor dem Schließfach stehen—
    geblieben, das die Konstruktion enthielt. Die Form der Schränke erinnerte Case an die neoaztekischen Bücherregale von Julie Deanes Vorzimmer in Chiba.
    »Los, Cutter!« sagte Molly.
    Case schaltete auf Cyberspace und jagte einen Befehl durch den knallroten Faden, der das Archiv-Eis durchdrang. Fünf eigenständige Alarmsyste—me wurden davon überzeugt, noch in Betrieb zu sein. Die drei auf wendigen Schlösser wurden geöffnet, betrachteten sich aber als noch geschlos—68
    sen. Die Zentralbank des Archivs mußte eine kleine Änderung in ihrem
    dauerhaften Speicher hinnehmen: die Konstruktion sei auf Wunsch der Geschäftsführung vor einem Monat entnommen worden. Sollte ein Bibliothekar nachprüfen, ob der Vorgang rechtmäßig war, würde er feststellen, daß die Aufzeichnungen gelöscht worden waren.
    Lautlos ging die Tür auf.
    »0467839«, sagte Case, und Molly zog eine schwarze Verpackung aus
    dem Fach. Sie glich dem Magazin eines schweren Sturmgewehrs und war
    mit allerlei Warnhinweisen und Geheimhaltungsbezeichnungen beklebt.
    Molly schloß das Fach. Case schaltete um.
    Er holte den Faden im Archiv-Eis ein. Er schnellte ins Programm zurück,
    was automatisch einen Rücklauf im ganzen System auslöste. Die
    Sense/Net-Tore schwirrten an ihm vorbei, als er sich zurückzog, und Sub—
    programme wirbelten zum Kernstück seines Eisbrechers, als er die Statio—
    nen der Tore passierte.
    »Raus, Brood!« sagte er und sank auf seinen Stuhl zurück. Nach der Konzentration eines handfesten Laufs konnte er eingesteckt und sich dennoch seines Körpers bewußt bleiben. Sense/Net würde wohl Tage brauchen, um
    den Diebstahl der Konstruktion zu entdecken. Der Schlüssel dazu wäre
    der abgelenkte Transfer von Los Angeles, der zu eindeutig mit dem Ter—
    roranschlag der Moderns zusammenfiel. Case bezweifelte, daß die drei
    Wachmänner, die Molly im Korridor über den Weg gelaufen waren, noch
    leben würden, um aussagen zu können. Er schaltete um.
    Der Aufzug, an dessen Schalttafel Mollys Blackbox klebte, stand noch
    da, wie sie ihn zurückgelassen hatte. Der Wachmann lag nach wie vor zusammengekrümmt auf dem Boden. Case bemerkte das Derm an seinem Hals erst jetzt. Mollys Werk, um ihn unten zu halten. Sie trat über ihn hinweg und entfernte die Blackbox, woraufhin sie FOYER drückte.
    Als die Aufzugtür zischend aufging, taumelte eine Frau rückwärts aus
    dem Menschengewühl in die Kabine und schlug mit dem Kopf gegen die
    Rückwand. Molly ignorierte sie, bückte sich und zog das Derm vom Hals
    des Wachmanns ab. Dann beförderte sie mit einem Fußtritt die weiße
    Hose und den pink Regenmantel zur Aufzugtür hinaus, warf die Sonnenbrille hinterher und zog sich die Kapuze ihres Anzugs in die Stirn. Die Konstruktion in der KänguruhTasche ihres Anzugs drückte bei jeder Bewegung gegen das Brustbein. Sie trat hinaus.
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    Case hatte schon Panik erlebt, aber noch nie in einem geschlossenen
    Raum.
    Die Sense/Net-Angestellten, die aus den Aufzügen strömten, strebten
    zum Straßenausgang, wo sie auf die Schaumbarrikaden der Kampftruppen
    und die Distanzgewehre des BAMA-Einsatzkommandos stießen. Die beiden Kräfte, die überzeugt waren, eine Horde potentieller Mörder zurück—halten zu müssen, arbeiteten ungewöhnlich effizient. Am Scherbenhaufen
    der Türen des Haupteingangs Stapelten sich die Körper dreischichtig auf
    den Barrikaden. Das hohle Getöse der Distanzgewehre bildete den ständigen Hintergrund zum Gegröle der Masse, die auf dem Marmorboden des Foyers hin und her strömte. So einen Lärm hatte Case noch nie zu Ohren
    bekommen.
    Molly offenbar auch nicht. »Herrgott«, sagte sie und zögerte. Es war ein
    schrilles Jammern, das zu gurgelndem Gewinsel in höchster Angst und Not
    anschwoll. Der Foyerboden war bedeckt mit Körpern, Kleidung, Blut und
    langen, zertrampelten Bahnen von gelbem Endlospapier.
    »Komm schon, Schwester! Wir müssen raus.« Die Augen der beiden Moderns lugten aus dem tollen Farbenspiel des Polykarbonats hervor; ihre Anzüge waren dem Chaos von Farben und Formen, das hinter ihnen wütete, nicht gewachsen. »Verletzt? Komm schon! Tommy stützt dich.« Tommy reichte

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