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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Eingabekodes.
    »Wer ist'n das?«
    »Armitage. So 'ne Datenbasis von ihm. Hab's von den Moderns gekauft.
    Eigener Deal. Wo ist es?«
    »London«, sagte Case.
    »Knack es!« Sie lachte. »Verdien dir zur Abwechslung mal deine Brötchen!«
    Case wartete auf eine Trans-BAMA-S-Bahn auf dem überfüllten Bahn—
    steig. Molly war mit der Flatline-Konstruktion in der grünen Tasche vor
    Stunden in den Speicherraum zurückgekehrt, und Case hatte seitdem
    ständig getrunken.
    Es war ihm zuwider, sich die Flatline als Konstruktion vorzustellen, als
    festverdrahtete ROM-Kassette29, die das Können eines Toten reproduzierte, seine Leidenschaften, seinen Kniesehnenreflex... Die S-Bahn kam auf dem schwarzen Induktionsstreifen angebraust, Sand rieselte aus den Rissen in der Betondecke des Tunnels. Case stieg an der nächsten Tür ein und beobachtete während der Fahrt die ändern Passagiere. Zwei Christli—29
    ROM = Read Only Memory, Nur-Lesespeicher; alle abgespeicherten Daten sind abrufbar, können aber nicht gelöscht oder verändert werden. - Der Übers.
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    che Wissenschaftler stürzten sich raubtierhaft auf ein weibliches Trio technischer Angestellter, von denen jede eine stilisierte, holografische Vagina, feuchtglänzendes Pink in grellem Licht, auf dem Handgelenk trug. Die Technikerinnen leckten über die perfekten Lippen und beäugten die Szi—entisten unter gesenkten, metallischen Lidern hervor. Die Mädels wirkten
    wie große, exotische Wiederkäuer; anmutig schwankten sie unbewußt mit
    der Bewegung des Zugs, und die hohen Absätze auf dem grauen Metallbo—
    den des Wagens glichen polierten Hufen. Bevor sie in wilder Flucht vor
    den Missionaren davonstürmen konnten, hatte die S-Bahn die Haltestelle
    von Case erreicht.
    Er stieg aus und bemerkte eine weiße, holografische Zigarre an der
    Wand des S-Bahnhofs. FREESIDE stand darunter in pulsierenden, verzerrten Großbuchstaben, die an japanische Schrift erinnerten. Er zwängte sich durch die Menge, stellte sich darunter und betrachtete das Ding. WARUM
    WARTEN? pulsierte die Botschaft. Eine stumpfe, weiße Spindel, überzogen und flankiert mit Gittern, Raumstrahlantennen, Docks, Kuppeln. Er hatte diese oder ähnliche Reklamen schon tausendmal gesehen. Aber er
    war nie darauf abgefahren. Mit seinem Deck konnte er die Freeside-Banken ebenso mühelos erreichen wie die Speicher von Atlanta. Reisen war was fürs Fleisch. Erst jetzt bemerkte er das kleine Zeichen, kaum münz—groß, in der linken, unteren Ecke der lichtgeschwängerten Reklame: T-A.
    Er kehrte, in Erinnerungen an die Flatline verloren, zum Speicherraum
    zurück. Seinen neunzehnten Sommer hatte er größtenteils im Gentleman
    Loser verbracht, wo er an teuren Bieren nippte und die Cowboys beobachtete. Damals hatte er noch kein Deck angefaßt, verspürte aber den unbändigen Wunsch dazu. Mindestens zwanzig andere hoffnungsvolle Knaben hingen in jenem Sommer im Loser herum und waren darauf erpicht, einem Cowboy zur Hand zu gehen. Nur so lernt man.
    Jeder hatte schon von Pauley gehört, dem aufbrausenden Jockey aus der
    Atlanta-Gegend, der drei Hirntode hinter schwarzem Eis überstanden hatte. Die Gerüchte - nur eins ging unscheinbar durch die Kanäle der Straße -
    über Pauley besagten nicht viel mehr, als daß er das Unmögliche geschafft habe. »Große Sache«, erzählte Case ein anderer Möchtegern für ein Bier, »
    aber wer weiß, was dahintersteckt? Hab was von einer brasilianischen
    Lohnliste gehört. Jedenfalls war der Mann flat, hirntot, null EEG.« Case
    starrte über den dicht umlagerten Tresen auf den untersetzten, hemds—
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    ärmligen Mann, dessen Haut einen bleiernen Farbschimmer hatte.
    »Junge«, sagte ihm die Flatline Monate später in Miami. »Ich bin wie die
    Scheißriesenechsen, weißt du? Hatten zwei gottverdammte Gehirne, eins
    im Kopf, das andere im Steiß, um die Hinterbeine zu bewegen. Traf in das
    schwarze Zeug, und das alte Steißhirn machte weiter, einfach weiter.«
    Die Cowboy-Elite im Loser schloß Pauley aus, weil sie irgendeine Kollek—
    tivangst hatte, abergläubisch war. McCoy Pauley, der Lazarus des Cyberspace...
    Und zuletzt hatte sein Herz den Ausschlag gegeben. Sein russisches Er—
    satzherz, unterm Krieg in einem Kriegsgefangenenlager implantiert. Er
    wollte es nicht auswechseln lassen, weil er seine spezifische Schlagfolge brauchte, wie er sagte, um das Zeitgefühl zu bewahren. Case befingerte den Zettel, den Molly ihm gegeben hatte, und stapfte über die

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