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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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ein kurzärmliges, weißes Baumwollhemd.
    »Muß dufte sein«, sagte Case und stand auf.
    »Willste 'nen Schuß, Case?«
    »Hab's mir abgewöhnen müssen.«
    »Freeside«, sagte Armitage und drückte eine Taste am kleinen Braun-Ho—
    logrammprojektor. Das fast drei Meter hohe Bild wurde scharf. »Kasinos
    hier.« Er griff in die skelettartige Projektion und deutete. »Hotels, Wohnei-gentum der Besseren, große Läden hier entlang.« Seine Hand wanderte. »
    Die blauen Flächen sind Seen.« Er ging zu einem Ende des Modells. »Große
    Zigarre. Verjüngt sich an den Enden.«
    »Deutlich zu sehen«, sagte Molly.
    »Bergeffekt beim Schmälerwerden. Gelände wird scheinbar steiler, felsi—
    ger, aber läßt sich gut besteigen. Je höher du kletterst, desto niedriger die Schwerkraft. Hier ist ein Velodrom.« Er deutete.
    »Ein was?«
    »Radrennbahn«, erklärte Molly. »Hochgriffige Reifen für niedrige Schwerkraft, erreichen bis zu über hundert km die Stunde.«
    »Interessiert uns jetzt nicht«, sagte Armitage, ernst wie immer.
    »Schade«, sagte Molly. »Ich bin eine begeisterte Radfahrerin.«
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    Riviera kicherte.
    Armitage ging ans andere Ende der Projektion. »Das schon.« Die inneren
    Details des Hologramms hörten hier auf, und das letzte Segment der Spindel war leer. »Das ist die Villa Straylight. Steiler Aufstieg aus der Schwerkraft heraus, und jede Annäherung ist trickreich. Es gibt einen einzigen Eingang, hier, tote Mitte. Null Gravitation.«
    »Was ist drin, Boß?« Riviera beugte sich vor und streckte den Hals. Vier
    winzige Figuren glitzerten dicht am Finger von Armitage. Armitage schlug
    danach wie nach Mücken.
    »Peter«, sagte Armitage, »du wirst der erste sein, der das rauskriegt. Du besorgst dir eine Einladung. Sobald du drin bist, siehst du zu, daß Molly reinkommt!«
    Case starrte in die Leere, die Straylight verkörperte, und mußte dabei
    an die Story des Finnen denken: Smith, Jimmy, sprechender Kopf, Ninja.
    »Kann man Näheres erfahren?« fragte Riviera. »Ich muß meine Garderobe planen, weißt schon.«
    »Check in den Straßen«, sagte Armitage und kehrte zur Mitte des Modells zurück. »Desiderata Street hier. Da Rue Jules Verne.«
    Riviera rollte mit den Augen.
    Während Armitage Straßennamen von Freeside aufzählte, sprossen auf
    seiner Nase, seinen Wangen, seinem Kinn ein Dutzend Pickel. Sogar Molly
    lachte.
    Armitage hielt inne und musterte sie mit seinen kalten, stieren Blicken.
    »Sorry«, sagte Riviera, und die Pickel flimmerten kurz und waren weg.
    Case erwachte spät in der Schlafperiode und bemerkte, daß Molly neben ihm auf dem Schaum kauerte. Er spürte ihre Anspannung. Verwirrt blieb er liegen. Als sie sich rührte, verblüffte ihn die Geschwindigkeit ihrer Bewegung. Im Nu war sie auf und davon durch die Plane. Case hatte nicht einmal mitbekommen, wie sie sie aufgeschlitzt hatte.
    »Keine Bewegung, Freund.«
    Case rollte zur Seite und steckte den Kopf durch den Schlitz in der Plane. »Wa...?«
    »Klappe!«
    »Du bist's, du«, sagte eine Zionitenstimme. »Katzenauge, nennen wir sie,
    nennen sie Wandelndes Messer. Ich Maelcum, Schwester. Brüder wollen
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    sich mit dir und Cowboy unterhalten.«
    »Welche Brüder?«
    »Die Gründer. Ältesten von Zion, weißt schon...«
    »Wenn wir die Luke öffnen, weckt das Licht unsern Boß«, flüsterte Case.
    »Dann macht's jetzt besonders dunkel«, sagte der Mann. »Kommt! Ich
    und ihr besuchen die Gründer.«
    »Du weißt, wie schnell ich dich aufschlitzen kann. Freundchen?«
    »Steh nicht faselnd rum, Schwester. Komm!«
    Die zwei noch lebenden Gründer Zions waren Greise, gebeugt vom be—
    schleunigten Altern, das den befällt, der zu lange außerhalb vom Schoß
    der Schwerkraft lebt. Ihre braunen Beine, spröde vom Kalziumverlust,
    wirkten wie zerbrechliche Stecken im reflektierten, gleißenden Sonnenlicht. Sie schwebten inmitten eines gemalten Urwalds aus buntem Laub—werk, eines düsteren, kultischen Wandbilds, das die ganze Hülle der sphä-
    rischen Kammer bedeckte. Es roch nach harzigem Rauch.
    »Wandelndes Messer«, sagte einer, als Molly in den Raum glitt. »Wie auf
    einem Peitschenstiel.«
    »Das ist eine Geschichte von uns, Schwester«, sagte der andere, »eine
    Legende. Wir sind froh, daß du mit Maelcum gekommen bist.«
    »Wieso redet ihr so komisches Zeug?« wollte Molly wissen.
    »Ich kam von Los Angeles«, sagte der Greis. Sein entsetzlich langes Haar
    war wie ein verfilzter Baum mit Zweigen in der Farbe von

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