Neuromancer
Seite auf der
Couch. Sie hatten die Arme über der gebräunten Brust verschränkt und jeweils ein identisches Goldkettchen um den Hals. Als Case sie musterte, stellte er fest, daß ihre Jugend vorgetäuscht war, worauf gewisse Runzeln an den Knöcheln hindeuteten, gegen die die Chirurgen nichts auszurichten vermochten.
»Wer ist Kolodny?«
»Das war der Name in der Anmeldung. Wer ist sie?«
»Weiß nicht«, sagte er, ging zur Bar und goß sich ein Glas Mineralwasser ein. »Ist abgehauen.«
»Wo warst du heut' nacht, Case?« Das Mädchen nahm die Pistole und
legte sie sich auf den Schoß, aber ohne sie direkt auf ihn zu richten.
»In der Jules Verne, 'n paar Bars. Hab mich vollgedröhnt. Und ihr?« Seine Knie waren steif. Das Mineralwasser war warm und abgestanden.
»Ich glaube, du verkennst deine Situation«, sagte der linke Mann und
zog ein Päckchen Gitane aus der Brusttasche seines weißen Netzhemds. »
Du bist verhaftet, Case. Wegen Verabredung zur Verübung von Straftaten zugunsten einer Künstlichen Intelligenz.« Er zog ein goldenes Dunhill aus der gleichen Tasche und wiegte es in seiner Hand. »Der Mann, den du als Armitage kennst, sitzt schon.«
»Corto?«
Der Typ machte große Augen. »Ja. Woher weißt du, daß er so heißt?«
Eine Millimeterflamme flackerte vom Feuerzeug auf.
»Hab's vergessen«, sagte Case.
»Es wird dir schon wieder einfallen«, sagte das Mädchen.
153
Ihre Namen - oder Decknamen - waren Michelle, Roland und Pierre. Pierre sollte, wie Case folgerte, den bösen Bullen spielen; Roland sollte für Case Partei ergreifen, kleine Gefälligkeiten erweisen - er suchte ein frisches Päckchen Yeheyuan, als Case eine Gitane ablehnte - und allgemein ein Gegengewicht zum kaltschnäuzigen, feindseligen Pierre herstellen. Michelle sollte der dienstbare Geist sein und hie und da lenkend ins Verhör eingreifen. Einer oder alle drei wären, dessen war sich Case sicher, mit Audio, wahrscheinlich sogar Simstim ausgerüstet, so daß alles, was er sagte und tat, als Beweis verwendet werden könnte. Beweis, so fragte er sich in seinem zermürbenden Drogen-Kater, wofür?
Da sie wußten, daß er kein Französisch verstand, redeten sie freimütig miteinander. Zumindest bestand dieser Eindruck. Jedenfalls bekam er genug mit: Namen wie Pauley, Armitage, Sense/Net, Panther Moderns ragten wie Eisberge aus dem munteren Meer von Pariser Französisch. Dabei war
durchaus denkbar, daß die Namen nur seinetwegen fielen. Wenn von Molly die Rede war, so immer als Kolodny.
»Du sagst, du bist für dieses Ding angeheuert worden, Case«, sagte Roland, der langsam sprach, um Verständnis auszudrücken, »ohne Genaueres über den Zweck der Übung zu wissen. Ist das nicht ungewöhnlich in deinem Gewerbe? Wärst du, nachdem du die Defensive durchbrochen hast, nicht in der Lage, die erforderliche Operation auszuführen? Und sicherlich ist eine Operation irgendeiner Art erforderlich, ja?« Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf seine braunen, schablonierten Knie und drehte die Handflächen nach außen, um Case zur Antwort zu ermuntern. Pierre
ging im Zimmer auf und ab; bald war er am Fenster, bald an der Tür. Michelle war die Präparierte, folgerte Case. Ihr Blick wich nicht von ihm.
»Kann ich was anziehn?« fragte er. Pierre hatte darauf bestanden, ihn
auszuziehen und die Nähte seiner Jeans zu durchsuchen. Case saß jetzt
nackt auf einem Korbstuhl. Ein Fuß war obszön weiß.
Roland fragte Pierre etwas auf französisch. Pierre, jetzt wieder am Fenster, spähte durch ein kleines, flaches Fernglas. »Non«, sagte er geistesab-wesend, und Roland blickte achselzuckend und stirnrunzelnd Case an.
Case fand, das sei ein günstiger Moment für ein Lächeln. Roland erwiderte das Lächeln.
Bullenscheiße, wie sie im Buche steht, dachte Case. »Schau«, sagte er. »
Ich bin krank. Hatte diese gottverdammte Droge in 'ner Bar, klar? Will 154
mich hinlegen. Ihr habt mich ja. Ihr sagt, ihr habt Armitage. Wenn ihr ihn habt, dann fragt ihn. Ich bin nur ein angeheuerter Helfer.«
Roland nickte. »Und Kolodny?«
»Sie war bei Armitage, als er mich anheuerte. Nur Muskeln, Messermie—
ze. Soviel ich weiß. Was nicht viel ist.«
»Du weißt, daß Armitage richtig Corto heißt«, sagte Pierre, die Augen
nach wie vor hinter den weichen Kunststoffrändern des Fernglases versteckt. »Woher weißt du das, Freund?«
»Schätze, er hat's mal erwähnt«, sagte Case, der den Versprecher bereu—te. »Jeder hat ein
Weitere Kostenlose Bücher