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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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es.«
    »Vielleicht haßt du dich selber, Case.«
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    »Nun, wie war's?« fragte Bruce, als Case in die Honda stieg.
    »Probier's mal gelegentlich«, sagte er und rieb sich die Augen.
    »Will mir nicht in den Kopf, daß du der Typ bist, der auf die Puppen
    steht«, sagte Cath enttäuscht, während sie ein frisches Derm aufs Handgelenk drückte.
    »Können wir jetzt heimfahren?« fragte Bruce.
    »Klar. Laß mich an der Rue Jules Verne aussteigen, wo die Bars sind.«
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    Die Rue Jules Verne war eine Ringstraße, die sich um die Spindelmitte
    schwang, während die Desiderata Street längs der Spindel verlief, und
    beidseitig an den Streben der Lado-Acheson-Lichtpumpen endete. Wenn
    man von der Desiderata rechts abbog und der Jules Verne weit genug folgte, kam man von links wieder zur Desiderata.
    Case sah der Honda von Bruce nach, bis sie außer Sicht war, wandte sich
    ab und spazierte an einem großen, hell erleuchteten Zeitungskiosk vorbei.
    Auf den Titelbildern von einem Dutzend japanischer Hochglanzmagazine
    prunkten die Gesichter der neuesten Simstim-Stars des Monats.
    Direkt über ihm funkelten entlang der nächtlichen Achse am Hologrammhimmel phantastische Konstellationen, die an Spielkarten erinnerten, an die Augen eines Würfels, an einen Zylinderhut, an ein Martiniglas.
    Die Kreuzung von Desiderata und Jules Verne bildete eine Art Schlucht,
    wo die terrassenartig angelegten Balkone der Hangbewohner allmählich
    zu den grasbedeckten Hügeln eines anderen Kasino-Komplexes anstiegen.
    Case beobachtete eine Drohne, einen ferngesteuerten Microlight, der beschwingt im Aufwind zum grünen Rand eines künstlichen Tafellands aufstieg und kurz in den weichen Lichterschein des unsichtbaren Kasinos ein—tauchte. Das Ding war eine Art Doppeldecker ohne Pilot aus hauchdünnem Polymer, einem Siebdruckgewebe, das einem Riesenschmetterling glich. Schon war es über dem Rand der Tafel verschwunden. Im letzten
    Moment hatte er Glas aufblitzen sehen, das Neonlicht reflektierte: entweder Objektive oder Lasergeschütze. Die Drohnen gehörten zum Sicherheitssystem der Spindel und wurden von einem Zentralcomputer gesteu—
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    ert.
    In der Villa Straylight? Er ging weiter, an Bars vorbei, die da hießen: Hi-Lo, Paradise, Le Monde, Cricketeer, Shozoku Smith's, Emergency. Er entschied sich für Emergency, weil es die kleinste und vollste war, stellte aber bald fest, daß es ein Lokal für Touris war. Was hier knisterte war nicht das Geschäft, sondern eine unterkühlte, erotische Spannung. Er dachte kurz an den namenlosen Club über Mollys Kabine, aber die Vorstellung, daß ihre verspiegelten Augen an dem kleinen Monitor klebten; brachte ihn davon ab. Was mochte Wintermute dort enthüllen? Die Grundrisse der Villa Straylight? Die Geschichte der Tessier-Ashpools?
    Er bestellte ein Glas Carlsberg und fand einen Stehplatz an der Wand.
    Die Augen geschlossen, suchte er die schwelende Glut seines Zorns. Er
    war noch da. Woher kam er? Er erinnerte sich, daß er nur mehr oder weniger verdutzt gewesen war über seine Verstümmelung in Memphis, rein gar nichts gefühlt hatte, als er mordete, um seine Handelsinteressen in Night City zu schützen, Abscheu und Ekel empfunden hatte über Lindas Tod in der aufgeblasenen Kuppel. Aber keinen Zorn. Vor seinem geistigen Auge
    knallte, klein und weit entfernt, ein verschwommener Deane in einer Explosion von Blut und Hirn gegen eine verschwommene Bürowand. Damals wußte er es: der Zorn kam hoch in der Spielhalle, als Wintermute den
    Simstim-Geist von Linda Lee zerschlug und damit die simple, animalische
    Hoffnung auf Essen, Wärme und einen Platz zum Schlafen. Aber er wurde
    sich dessen erst bewußt bei seinem Zwiegespräch mit dem holographisch
    konstruierten Lonny Zone.
    Es war etwas Eigentümliches. Er konnte es nicht ermessen.
    »Stumpf«, sagte er. Er war seit langem, seit Jahren abgestumpft. Alle sei-ne Nächte in Ninsei, seine Nächte mit Linda. Abgestumpft im Bett, abgestumpft mitten im schweißtreibenden Verlauf eines jeden Drogendeals.
    Aber jetzt hatte er dieses warme Ding gefunden, diesen mörderischen
    Zug. Fleisch, sagte etwas in ihm. Es ist das Fleisch, das zu dir spricht. Beachte es nicht!
    »Gangster.«
    Er öffnete die Augen. Cath stand neben ihm in einem schwarzen Hemd—
    kleid, das Haar von der Hondafahrt noch zerzaust.
    »Dachte, du wolltest heim«, sagte er und kaschierte seine Verwirrung
    mit einem Schluck Carlsberg.
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    »Ließ mich bei so'nem Shop absetzen. Hab das

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