Neuromancer
gekauft.« Sie strich mit
der Hand über den Stoff, am Becken entlang. Er sah das blaue Derm an ihrem Handgelenk. »Gefällt's dir?«
»Klar.« Automatisch musterte er die Gesichter um sie herum und sah
dann wieder sie an. »Was hast du überhaupt vor, Süße?«
»Gefällt dir das Beta, das du von uns gekriegt hast, Lupus?« Sie stand
nun ganz dicht bei ihm, strahlte Wärme und Anspannung aus. Die Pupillen
in den länglichen Augen waren enorm geweitet, eine Sehne an ihrem Nak—
ken gespannt wie eine Bogenschnur. Sie bebte, zitterte unmerklich, als
das Zeug reinknallte. »Haste abgehoben?«
»Ja. Aber die Landung ist tückisch.«
»Dann brauchste noch eins.«
»Und wohin soll das führen?«
»Hab 'nen Schlüssel. Droben am Berg hinter dem Paradise, Bude nur
vom Feinsten. Leute sind heut' abend den Schacht runter, geschäftlich,
wenn du mir folgst...«
»Falls ich dir folge.«
Mit ihren heißen, trockenen Händen ergriff sie die seinen. »Bist ein Yak, was, Lupus? Gaijin-Soldat für den Yakuza.«
»Hast'n Auge für so was, hm?« Er zog seine Hand zurück und suchte
nach einer Zigarette.
»Wie kommt's dann, daß du noch sämtliche Finger dran hast? Ich dachte, du mußt dir jedesmal, wenn du murkst, einen abhacken?«
»Ich murkse nicht.« Er zündete sich die Zigarette an.
»Hab das Mädchen gesehn, mit dem du zusammen bist. An dem Tag, als
ich dich kennenlernte. Geht wie Hideo. Macht mir Angst.« Sie lächelte zu
breit. »Gefällt mir. Mag sie's mit Frauen?«
»Nie was gesagt. Wer ist Hideo?«
»3Janes Gefolgsmann, wie sie ihn nennt. Gefolgsmann der Familie.«
Case zwang sich, öde auf die Gäste im Emergency zu starren, während
sie sprach. »Dreijane?«
»Lady 3-Jane. Irre. Reich. Ihrem Vater gehört das alles hier.«
»Diese Bar?«
»Freeside!«
»Ehrlich, du verkehrst in besten Kreisen, was?« Er zog eine Augenbraue
hoch. Legte den Arm um sie, die Hand auf ihre Hüfte. »Und wie lernst du
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die Bic Mäcs kennen, Cath? Bist du 'ne heimliche Debütantin? Du und Bruce, habt ihr heimlich ein altes, fälliges Guthaben geerbt? Hm?« Mit gespreizten Fingern knetete er das Fleisch unter dem dünnen, schwarzen Kleid. Sie drückte sich an ihn. Lachte.
»Oh, du weißt schon«, sagte sie mit halb gesenkten Lidern, um einen be—
scheidenen Eindruck zu machen, »sie liebt Feste. Bruce und ich, wir bringen die Feste in Umlauf... Es wird ihr echt langweilig da drin. Ihr alter Herr läßt sie manchmal raus, sofern sie Hideo mitnimmt, der auf sie aufpaßt.«
»Wo wird's langweilig?«
»In der Straylight, so heißt die Villa. Hat mir davon erzählt. Oh, 's ist hübsch dort, lauter Teiche und Lilien. Ein Schloß, ein richtiges Schloß, ganz aus Stein und Abendrot.« Sie schmiegte sich an ihn. »He, Lupus, Alter, brauchst'n Derm. Damit wir zusammen sein können.«
Sie trug ein Ledertäschchen an einer schmalen Halskordel. Die völlig
zerkauten Nägel der künstlich gebräunten Finger waren pink lackiert. Sie
öffnete das Täschchen und zog ein in Papier verpacktes, blaues Derm hervor. Etwas Weißes fiel dabei auf den Boden. Case bückte sich danach. Ein Origami-Kranich.
»Hab ich von Hideo«, sagte sie. »Versuchte mir zu zeigen, wie's geht,
aber ich krieg's nicht hin. Der Hals steht immer nach hinten ab.« Sie verstaute das gefaltete Papier in der Tasche. Case verfolgte, wie sie die Folie abzog, das Pflaster aus der Unterlage schälte und es innen an sein Handgelenk klebte.
»3Jane, hat sie ein markantes Gesicht, Nase wie ein Raubvogel?« Seine
Hände zeichneten in die Luft.
»Dunkles Haar? Jung?«
»Schätze ja. Irre Frau. Tja, all das Geld.«
Die Droge überrollte ihn wie ein D-Zug, eine weißglühende Lichtsäule,
die von seiner Prostatagegend ins Rückgrat schoß und die Nähte seines
Schädels mit den Röntgenstrahlen seiner kurzgeschlossenen Libido durch—
leuchtete. Seine Zähne erklangen in den einzelnen Wurzelfächern wie
Stimmgabeln, ein jeder in der richtigen Tonlage und klar wie Äthanol. Sei-ne Knochen unter der dunstigen Fleischhülle waren verchromt und hochglanzpoliert, die Gelenke mit Silikon geschmiert. Sandstürme wüteten auf dem blankgescheuerten Schädelboden und erzeugten hohe, statische
Wellen, die sich brachen hinter den Augen, schwellenden Bällen aus klar—
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stem Kristall...
»Komm schon!« sagte sie und nahm ihn bei der Hand. »Du bist drauf. Wir
sind drauf. Am Berg droben können wir's die ganze Nacht so haben.«
Der Zorn wuchs, wurde
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