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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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zieh mich schon an«, sagte er und taumelte zum Bett. Seine Beine
    waren noch taub, schwerfällig. Er fummelte an einem sauberen T-Shirt herum.
    »Ein Schiff steht bereit. Pauleys Konstruktion werden wir mit einer Impulswaffe vernichten.«
    »Das wird euch Sense/Net übelnehmen«, sagte Case und dachte: die vielen Beweise im Hosaka.
    »Die haben schon Ärger, weil sie so was überhaupt besessen haben.«
    Case zog sich das T-Shirt über den Kopf. Er sah das Shuriken auf dem
    Bett. Lebloses Metall, sein Stern. Er tastete nach dem Zorn. Der war nicht mehr da. Zeit zum Aufgeben, zum Aussteigen... Er dachte an die Giftsäckchen. »Fleisch«, murmelte er.
    Im Aufzug zur Dachwiese dachte er an Molly. Sie war vielleicht schon in der Villa Straylight. Jagte Riviera. Und wurde vermutlich gejagt von Hideo, der höchstwahrscheinlich der geklonte Ninja aus der Story des Finnen war, derjenige, der aufgetaucht war, um den sprechenden Kopf wiederzubeschaffen.
    Er lehnte den Kopf gegen die mattschwarze Wandverkleidung aus
    Kunststoff und schloß die Augen. Seine Glieder waren wie Holz, altes, verzogenes, regennasses Holz.
    Unter den Bäumen und bunten Sonnenschirmen wurde das Lunch serviert. Roland und Michelle taten sich zusammen und plauderten munter auf französisch. Pierre folgte hintendrein. Michelle hielt Case die Pistole an die Brust, die sie mit einer weißen, über den Arm drapierten Segeltuch-jacke tarnte.
    Als sie die Wiese überquerten und sich im Zickzack um die Bäume und
    Tische schlängelten, fragte er sich, ob sie ihn erschießen würde, sollte er jetzt zusammenbrechen. Schwarzer Pelz flimmerte am Rande seines Blickfelds. Er schaute hinauf zum grellen, glühenden Band der Lado-Acheson-Maschine und sah einen Riesenschmetterling, der gewandt vor dem aufgezeichneten Himmel schwebte.
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    Am Rande der Wiese kamen sie zum Abgrund des Kliffs, der mit einem
    Geländer gesichert war. Wildblumen wiegten sich im Aufwind aus der
    Schlucht, der Desiderata. Michelle schüttelte ihr kurzes, dunkles Haar und deutete, wobei sie etwas auf französisch zu Roland sagte. Sie hörte sich echt glücklich an. Case folgte der Geste und sah die spiegelnden Seen, die blitzenden Kasinos, die türkisen Rechtecke von tausend Swimmingpools, die braunen Leiber der Badenden, klein wie Hieroglyphen, allesamt eingebettet in den Schoß der künstlichen Schwerkraft an der endlosen Krümmung der Hülle von Freeside.
    Sie folgten dem Geländer zu einer schmuckvollen schmiedeeisernen
    Brücke, die sich über die Desiderata spannte. Michelle stupste ihn mit dem Lauf der Walther.
    »Immer schön sachte. Ich kann heute kaum gehn.«
    Sie hatten erst ein Viertel der Brücke überwunden, als der Microlight
    mit lautlosem Elektromotor zuschlug und mit dem Kohlefaserpropeller Pierres Schädeldecke zerfetzte.
    Der Schatten huschte über sie hinweg; Case spürte das warme Blut, das
    in seinen Nacken spritzte; dann riß ihn jemand zu Boden. Er rollte zur Sei-te und sah Michelle mit angezogenen Knien auf dem Boden liegen und beidhändig zielen. Vergebliche Mühe, dachte er mit der seltsamen Klarheit des Schocks. Sie versuchte, den Microlight abzuschießen.
    Und dann rannte er. Er blickte um, als er den ersten Baum passierte. Roland rannte hinter ihm her. Der fragile Doppeldecker prallte gegen das Eisengeländer der Brücke, zerbrach, wirbelte in die Tiefe und riß das Mädchen mit sich.
    Roland hatte nicht umgesehen. Sein Gesicht war blaß, seine Miene verbissen. Er bleckte die Zähne, hielt etwas in der Hand.
    Der Gartenroboter erledigte ihn, als er denselben Baum passierte. Er
    stürzte sich aus der gepflegten Krone, das krebsartige Gebilde mit
    schwarz-gelben Querstreifen.
    »Du hast sie umgebracht«, keuchte der rennende Case. »Du irrer
    Knackarsch hast sie alle umgebracht...«
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    14
    Der kleine Zug düste mit achtzig Stundenkilometer durch seinen Tunnel. Case hielt die Augen geschlossen. Das Duschen hatte ihm gutgetan.
    Allerdings hatte er sein Frühstück erbrochen, als er hinunterschaute und Pierres Blut rot über die weißen Kacheln strömen sah.
    Die Schwerkraft ließ in dem Maß nach, wie die Spindel sich verengte.
    Case drehte sich der Magen um.
    Aerol wartete mit seinem Roller an der Rampe.
    »Case, du, wir haben Zoff«, säuselte die Stimme in seinem Kopfhörer. Er regelte die Lautstärke und spähte in das gläserne Lexan-Visier von Aerols Helm.
    »Muß auf die Garvey, Aerol.«
    »Jo. Schnall dich an! Aber die Garvey ist gefangen. Die Jacht, die

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