Neva
wiederholen muss.
»Oh, Entschuldigung.« Ich beuge mich zum Mikrophon vor. »Ich bin Neva Adams.« Meine Stimme zittert.
»Den vollständigen Namen«, verlangt er. Instinktiv suche ich nach seinem Namensschild, obwohl ich sehr gut weiß, dass Polizisten die einzigen Regierungsmitarbeiter sind, die keine tragen müssen. Ihre Uniformen sind bis auf das Heimatland-Wappen auf dem Revers frei von Kennzeichnungen.
»Neva
Elaine
Adams.« Ich betone die neue Information. Die Frauen in der Familie meiner Mutter tragen seit Generationen denselben zweiten Vornamen. Man könnte meinen, dass sich dadurch das Zugehörigkeitsgefühl steigert. Tatsächlich verstärkt es jedoch mein Gefühl, recycelt worden zu sein.
»Ich werde dir ein paar Fragen stellen«, sagt er.
»Okay.« Ich versuche, genauso entspannt zu klingen wie er, aber mein Herz hämmert so heftig, dass ich fürchte, er könnte es hören.
»Was kannst du mir über den Vandalismusakt von neulich erzählen?«, will er wissen, während er die Akte mit seiner schwarz behandschuhten Hand zuklappt.
Auf dem Weg hierher im Auto habe ich ständig über die Fragen nachgedacht, die die Polizei mir stellen könnte. Sonst hätte ich mir ausmalen müssen, wie leicht es wäre, mich verschwinden zu lassen. Sie haben mich nicht in die Polizeizentrale gebracht. Ich bin jetzt in dem Gebäude, in dem mein Vater arbeitet. Ich musste mit ihnen drei Etagen abwärts in eines der Untergeschosse gehen. Sie wollen mir das Gefühl geben, dass ich keinesfalls entkommen kann. Nun sitze ich in einem grauen Raum mit nackten Betonwänden. Ich sehe mein Bild in einem Spiegel, der wahrscheinlich von der anderen Seite durchsichtig ist. Ich schätze, dass mein Vater gerade zusieht, denn ich spüre die Spannung, die seine Anwesenheit normalerweise mit sich bringt. »Ich habe in den Nachrichten darüber gelesen«, sage ich, nachdem ich ein paarmal tief ein- und ausgeatmet habe.
»Wir glauben, dass eine Gruppe junger Leute für diesen Verstoß gegen den Patriotismus verantwortlich ist.« Er beobachtet mich sehr genau. Meine Augen weiten sich, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte. »Kennst du jemanden oder hast du von jemandem gehört, der an dieser oder einer anderen regierungsfeindlichen Tat beteiligt gewesen ist?«
»Ich dachte, die Graffiti seien regierungsfreundlich gewesen. So stand es doch in den Nachrichten.« Ich muss lügen, aber ein Teil von mir wünscht sich, die Wahrheit hinausschreien zu dürfen.
»Nicht alles war positiv.« Er sieht mir direkt in die Augen, und ich zwinge mich, seinem Blick standzuhalten. Nur Schuldige schauen weg. Oder wenden die Unschuldigen sich ab, weil schuldige Leute etwas beweisen müssen?
»Du kennst die Konsequenzen einer solchen Tat, nicht wahr?« Er spricht nun lauter, und die Worte hallen von den Betonwänden wider.
Ich nicke.
»Und welche sind es?«, hakt er nach.
»Seminare in Patriotismus.« Es ist mir peinlich, dass sich meine Stimme so dünn und krächzend anhört.
»Nein.« Er steht auf. So von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, macht er einen einschüchternden Eindruck. »Ein solches Verhalten grenzt an Hochverrat.«
Meine Knie beginnen zu beben. Wie kann es Hochverrat sein, ein paar Buchstaben zu malen? Mir ist, als wäre alles Blut aus meinem Körper gewichen.
Er setzt sich auf die Tischkante und verschränkt die Arme. Ich nehme mir Moms Rat zu Herzen, nur auf die Fragen zu antworten, die wirklich gestellt werden. Und da er mir keine stellt, bleibe ich stumm. Wahrscheinlich würde ich ohnehin kein Wort herausbringen, selbst wenn ich wollte.
»Der oder die Täter werden mindestens auf eine Gemeindefarm geschickt.« Er lehnt sich ein wenig zurück, um seine Worte wirken zu lassen. Sannas Bruder wurde für ganze sechs Monate auf eine solche Gemeindefarm geschickt. Es ist die Antwort der Regierung auf Lebensmittelknappheit und überfüllte Gefängnisse. Er kam zurück mit schwieligen Händen, sich schälender Haut und einer Wut, die die Luft um ihn herum vibrieren ließ.
Der Officer hustet und zupft an seinem Kragen. »Die Höchststrafe dafür … Nun, darüber müssen wir uns ja jetzt keine Gedanken machen.«
Ich will es aber wissen. Ich will, dass er es ausspricht: Sie werden verschwinden. Aber was stößt den Verschwundenen zu? Folter? Tod?
Ein brummendes Geräusch lässt uns beide zusammenfahren. Daraufhin verlässt er den Raum durch die einzige Tür. Ich lege meine Stirn auf den kühlen Metalltisch und bewege den Kopf hin und her.
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