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Neva

Neva

Titel: Neva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Grant
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könnte.«
    Ich weiß, dass er meint, ich solle nicht mehr nach den Vermissten suchen und außerdem aufhören, Widerstand zu leisten. Was ich hier mit ihm tue, ist jedoch sehr viel gefährlicher.
    »Du willst es nicht lassen, nicht wahr?«, fragt er, als ich nichts erwidere. Er kennt meine Antwort bereits.
    »Ich kann nicht.« Die Leute um uns herum kümmern sich um ihre eigenen Angelegenheiten. Es ist ein ganz normaler Tag. Sie essen und trinken und lachen und plaudern, aber wenn ich näher hinsehe, erkenne ich es. Da ist ein stumpfer Ausdruck in ihren Augen. Sie kennen ihre Grenzen, aber ich bin mir meiner noch nicht sicher.
    »Bist du dir eigentlich im Klaren darüber, wie gefährlich das ist?« Er holt tief Luft, als ob er mir gleich eine Standpauke halten wollte.
    Ich schüttele den Kopf. »Lass gut sein. Spar dir deine Argumente für …« Doch ich kann Sannas Namen nicht aussprechen.
    Verärgert stößt er den Atem aus. »Es ist klüger, und das weißt du.«
    Ich nicke. »Ich bin noch nie besonders klug gewesen.«
    »Tja«, entgegnet er, »so geht es mir auch.« Er lehnt sich zurück und streckt die Beine aus.
    Ein Schweigen legt sich über uns, das dringend gebrochen werden will. Ich kann ihn nicht ansehen, kann nichts sagen. Wie beiläufig rücke ich ein wenig ab, um Distanz zwischen uns zu bringen, und ich weiß, dass er es bemerkt, aber er regt sich nicht. Wir geben beide vor, die Leute um uns herum zu beobachten.
    »Wie machen die das bloß?«, fragt er schließlich.
    Ich sehe nichts Außergewöhnliches. »Was machen?«
    »Na, das hier – tagein, tagaus.«
    Ich weiß, was er meint. Auch ich sehe ihnen schon lange dabei zu, wie sie jeden Tag dasselbe langweilige Spiel spielen. »Keine Ahnung.«
    »Willst du manchmal auch einfach nur schreien und ganz, ganz weit wegrennen?«
    »Manchmal? Ununterbrochen.« Ich seufze.
    »Ich auch.« Er wirft mir einen Blick zu. »Wir enden nicht so.«
    Und etwas tief in mir glaubt noch immer daran. »Nein. Solange wir genau wissen, dass wir gefangen sind, haben wir auch eine Chance zu entkommen.«
    Er schaut mich an und scheint ernsthaft darüber nachzudenken, was ich gerade gesagt habe. »So habe ich das noch nie betrachtet. Diese Leute da bemerken ihre Käfigstangen nicht einmal mehr.«
    Komisch, er klingt nicht wie Braydon. Ich weiß nicht, ob es nur an seinem Tonfall liegt oder an der Tatsache, dass wir uns nie wirklich unterhalten haben. Er hat immer noch etwas Geheimnisvolles an sich, aber ich glaube, ich habe soeben einen Blick auf den Menschen hinter der Maske geworfen. »Du solltest besser aufpassen«, sage ich und erlaube mir, ihn lange und direkt anzusehen. »Du hörst dich langsam an wie ein Rebell.«
    Er lächelt mich an, und das Kribbeln in meinem Bauch fühlt sich mit einem Mal glühend heiß an. Millimeterweise rücken wir näher aneinander.
    Doch dann zerspringt etwas in mir. »Braydon. Ich kann das nicht.« Ich richte mich kerzengerade auf.
    »Was kannst du nicht?« Er stößt mich mit der Schulter an.
    Zapp! Wieder dieses Gefühl. Wie ein innerer Blitz. »Du weißt, was.«
    »Wir tun doch nichts, Neva«, hält er dagegen, aber ansehen können wir uns auch nicht. Wir starren beide auf seine roten Stiefel.
    Vielleicht habe ich die ganze Sache falsch eingeschätzt. Ich muss es einfach wissen. »Warum hast du mich geküsst?«
    Er zuckt die Achseln. »Na ja, weil …« Unsere Blicke treffen sich, und ich erkenne, dass es ihm ebenfalls etwas bedeutet hat. »Du hast doch mitgemacht.«
    »Ich wusste nicht, dass du das gewesen bist«, protestiere ich. Er legt seine Hand auf die Stufe neben meine. Unsere kleinen Finger berühren sich. Zapp!
    »Braydon. Halt dich von mir fern.« Ich stehe auf und streiche meinen Rock glatt.
    »Du hast recht.« Er schaut zu mir auf. Diese Augen …
    Ich sollte unbedingt gehen. »Ich will Sanna nicht weh tun.«
    Langsam richtet er sich auf. »Das will ich auch nicht, aber …« Er nimmt meine Hand.
    »Bitte nicht, Braydon«, sage ich, mache mich jedoch nicht los.
    Er kommt einen Schritt näher. »Du kannst es spüren, ich weiß es. Unser Leben verlief in geregelten Bahnen. Dann haben wir uns geküsst, und ich fühlte mich …«
    »Lebendig«, beende ich den Satz.
    »Ja.« Wir verschränken unsere Finger miteinander.
    »Als würden wir keine recycelten Leben mehr führen.« Die Spannung zwischen uns ist gewaltig. Wir sind wie zwei riesige Magneten, die einander anziehen.
    Seine Lippen sind trocken und ein wenig rissig, aber ich

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