Neva
auch etwas über meine Großmutter stehen.« Mein Herzschlag beschleunigt sich. »Sanna, ich bin jetzt drin. Ich kann bestimmt etwas entdecken, das wir nutzen können. Möglicherweise sogar einen Beweis dafür, dass es draußen etwas gibt! Dass die Regierung die Protektosphäre öffnen muss.«
»Nev, ich dachte, wir waren uns einig, dass wir es eine Weile ruhig angehen wollen. Braydon sagt, es sei zu gefährlich …«
Ich stoppe sie mit einer Geste. Ich will gar nicht wissen, was Braydon sagt. »Vielleicht können wir …«
Jetzt unterbricht sie mich: »Können wir nicht einfach so weitermachen wie vor der Dunkelparty?«
»Ich wünschte, das ginge«, erwidere ich.
Sie hakt sich bei mir unter, und wieder empfinde ich das schlechte Gewissen. Eigentlich habe ich es verdient, verhaftet zu werden, aber nicht, weil ich mich gegen Heimatland auflehne. Ich habe mich schuldig gemacht, weil ich meine beste Freundin betrüge.
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10 . Kapitel
N ach einer Woche in Effies Obhut glaube ich, den Verstand zu verlieren. Sie verlässt ihren Platz nur, wenn mein Vater sie ruft. Bei all dem Kaffee, den diese Frau in sich hineinkippt, muss sie eine Blase aus Eisen haben. Natürlich trinkt sie aus der eigenen Thermoskanne, damit sie keine Zeit in der Küche mit sinnloser Plauderei unter Kolleginnen verschwenden muss, wie sie es ausdrückt. Sie lässt mich niemals aus den Augen und sieht sich das, was ich tue, stichprobenartig an. Sobald ich eine Minute innehalte, räuspert sie sich. Ich überlege schon, ob ich ihren Kaffee mit irgendetwas versetzen soll, damit ich einen Moment für mich allein haben kann. Bisher bot sich keine Gelegenheit, um mir noch einmal RegNet anzusehen. Es ist, als warte man darauf, endlich ein Weihnachtsgeschenk öffnen zu dürfen … doch Weihnachten kommt einfach nicht.
Heute habe ich beschlossen, draußen auf der Treppe Mittagspause zu machen. Effie muss mich mit einem Abwehrspray eingenebelt haben, denn in der Cafeteria und im Pausenraum nähert sich mir niemand. Allerdings ist das nichts Neues. Ich sitze also draußen auf der Treppe, knabbere an meinem Käsebrot und erfinde Dramen für die Menschen um mich herum. Die zwei Frauen vor mir benutzen gerade ihre Nagelfeilen dazu, Spionen in einem schwer zu entschlüsselnden Code eine Botschaft zu morsen. Der Jogger ist aus einem Gefangenenlager der Grenzpatrouille entkommen und flüchtet nun nach Norden. Der Mann in dem hellgrauen Anzug ist schon zweimal vorbeigekommen – zumindest glaube ich, dass es derselbe Mann ist. Wahrscheinlich kundschaftet er heimlich die Örtlichkeiten aus, weil er plant, Regierungsgeheimnisse zu stehlen.
»Neva.«
Ich brauche einen Moment, bis ich bemerke, dass man meinen Namen gerufen hat.
»Neva, bist du das?«
Ich suche unter den Spionen und entlaufenen Sträflingen. Vielleicht bilde ich mir wieder Freunde ein, wie ich es getan habe, bevor ich Sanna begegnet bin.
»Neva!« Ich kenne die Stimme, aber sie passt nicht in die Umgebung. Hinter mir. Ich drehe mich um. In meinem Inneren breitet sich ein Prickeln aus. Ich blicke auf die Füße, um meine körperliche Reaktion zu bestätigen. Rote Stiefel.
»Ich dachte mir doch, dass du es bist«, meint er und setzt sich neben mich.
»Hi, Braydon«, begrüße ich ihn. Mein Gesicht färbt sich feuerrot. Unsere Körper sind nur Zentimeter voneinander entfernt. Ich spüre die Wärme, die er ausstrahlt. »Was machst du denn hier?« Instinktiv vergewissere ich mich, dass uns niemand beobachtet.
Er mustert seine Stiefel. »Ich wollte dich sehen.«
Gott, ich wollte ihn auch sehen! Aber nun, da er direkt neben mir sitzt, möchte ich lieber, dass er geht. Er hat eine fast unerträgliche Sehnsucht in mir ausgelöst.
»Ist alles okay mit dir?«, erkundigt er sich. Mir ist nicht aufgefallen, dass er sich bewegt hätte. Trotzdem scheint er plötzlich irgendwie näher gekommen zu sein.
Ich schüttele ganz, ganz leicht den Kopf.
»Ja, du hast recht. Blöde Frage.« Er entdeckt einen Fleck auf seinem Stiefel und reibt und reibt und reibt. »Wie ist der neue Job?«
»Gut«, lüge ich. Ich weiß nicht, wie ich mich in seiner Nähe benehmen soll. Jedes Wort und jede Geste verraten, was ich für ihn empfinde. Was immer es ist.
Er neigt sich zu mir herüber. Ich erstarre vor Angst, dass er mich anfasst, und zugleich hoffe ich inständig, dass er genau das tut. »Neva«, flüstert er. »Bitte versprich mir, dass du nichts tust, was dich in noch größere Schwierigkeiten bringen
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