Neva
meine Korrekturen. Überlege, ob ich nicht eigenmächtig ein paar Dinge streichen oder hinzufügen sollte. Wenn Sanna hier wäre, würde sie sich wahrscheinlich einen Spaß daraus machen, an jeder möglichen oder unmöglichen Stelle das Wort »durchgeknallt« einzufügen. Am liebsten würde ich diese Arbeit überhaupt nicht machen. Ich »vergesse« ein paar kleinere Korrekturen – ein Adjektiv hier, ein Halbsatz dort. Es ist nur ein kleiner Widerstand. Dennoch beruhigt es mich ein wenig in meiner wachsenden Empörung darüber, wie die Regierung, zu der ich nun selbst gehöre, Nachrichten manipuliert.
Effies Finger fliegen über die Tasten. Sogar ihre Hände scheinen sich darüber aufzuregen, dass ich hier bin. Sie unterbricht nur, um zu husten. Ich erhebe mich halb, spähe über ihre Schulter und lese mit. »Ähm, Effie?«, beginne ich, aber sie scheint in einer Art Trance zu sein. Also versuche ich es noch einmal: »Effie? Warum steht da …?« Ich zeige auf einen Artikel, den sie augenblicklich wegklickt. »Warum stand da ›Handlungsbedarf‹? War das nicht eine Todesanzeige?«
Sie räuspert sich. »Die Zeitungen berichten nicht mehr über Todesfälle mit natürlicher Ursache.«
»Aber der Kerl war doch gerade mal so alt wie mein Vater.«
Sie fährt einfach fort zu arbeiten, ohne mir zu antworten. Ich setze mich auf meinen Platz und versuche, mich wieder meiner Pflicht zu widmen, aber es klappt nicht.
Plötzlich fällt mir auf, dass Effie zu tippen aufgehört hat. Ihr Gesicht ist blass. Ich rutsche auf meinem Stuhl herum, damit ich ihren Bildschirm erkennen kann, aber erneut behindert der Rock mich. Effie neigt den Kopf zur Seite, um mir die Sicht zu versperren.
»Was ist denn, Effie?«, frage ich und stelle mich hin. Der Artikel kommt aus einer Stadt oben im Norden. Es ist einer der kleinen Orte, in denen sich die Bürger weigern, von der Regierung in die großen Ballungsräume umgesiedelt zu werden. Dadurch bekommen sie zwar weniger Unterstützung durch die Regierung, wie Strom, Wasser und Polizeipräsenz, aber haben dafür mehr Freiheit. Die Schlagzeile lautet:
Fünf Mädchen vermisst.
Mir verschlägt es den Atem. Noch mehr Vermisste?
Effie schließt den Artikel und hebt den Eintrag rot hervor. Sie greift nach dem Telefon und gibt ohne hinzusehen eine Nummer ein.
»Ja, wieder Code 11 . Ich schicke Ihnen den Bericht jetzt rüber«, bellt sie in den Hörer und legt auf. Dann wählt sie eine weitere Nummer und wiederholt die kryptische Nachricht. Ihre Finger hämmern auf der Tastatur, und der rote Eintrag verschwindet. Sie klickt ein Symbol an, ruft eine Seite auf, die, glaube ich, mit »RegNet« überschrieben ist, und klickt und tippt so schnell, dass ich nichts mitbekomme. Dann erhebt sie sich, streicht sich übers Haar und tritt an die Tür zum Büro meines Vaters. Klopft.
»Herein!«, ruft mein Dad.
Effie drückt die Tür auf. »Dr. Adams, entschuldigen Sie die Störung. Wieder ein Code 11 .« Sie schweigt einen Moment. »Ja, es ist schon alles veranlasst. Ich durchsuche das System und reinige es von den entsprechenden Daten.«
Was genau soll das heißen? Sie redet weiter mit meinem Dad. Zentimeter um Zentimeter rücke ich näher an Effies Computer heran. Betrachte den Bildschirm. Dort erkenne ich zwei Suchmasken: Die eine trägt den Vermerk »Aktiv«, die andere »Inaktiv«. Ich überfliege die Überschriften auf dem Schirm und werfe einen Blick über die Schulter. Effie dreht mir noch immer den Rücken zu. Also klicke ich rasch »Über RegNet« an. Ein kleiner Kasten erscheint in der Mitte des Bildschirms.
RegNet wurde
0010
eingerichtet, um die Bürger effizienter katalogisieren zu können.
Jeder Bürger hat eine Zentraldatei. Um eine bestimmte Datei einzusehen, geben Sie den Namen in das dafür vorgesehene Feld ein.
Ich schaue wieder über meine Schulter. Effie steht noch im Türrahmen, und ich höre sie mit Dad sprechen. Schnell klicke ich den Kasten weg. Diese Datenbank weiß alles über jeden. Wieso bin ich nicht eher auf den Gedanken gekommen? Es wird viel leichter sein, Antworten zu erhalten, wenn ich im Regierungsgebäude arbeite. Vielleicht kann ich die Wahrheit über die Protektosphäre herausfinden. Vielleicht erfahre ich etwas über meine Großmutter und all die vielen anderen Verschwundenen.
Als Effie mit rotem Gesicht wieder an ihren Platz zurückkehrt, frage ich: »Darf ich wissen, was gerade passiert ist?«
Sie ignoriert mich.
»Wie soll ich denn meinen Job erledigen,
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