Neva
Lücken zu schließen.
»Wir werden nun jede von euch kurz untersuchen und euch dann auf eure Zimmer bringen.« Die größere der Frauen nimmt Nummer 1132 an die Hand, die andere meinen Arm. Sie führt mich auf eine Tür am Ende des Flurs zu. Je näher wir kommen, umso mehr muss sie mich ziehen, weil meine Füße nicht mitmachen. Das dürfen sie einfach nicht tun. Die Ärztin gibt jedoch nicht nach.
»Es ist etwas unangenehm, tut aber nicht weh«, erklärt sie mir. »Es ist leichter, wenn man sich entspannt.«
»W-was haben Sie vor?«, frage ich, als wir die Tür erreichen.
Sie legt die Hand auf den Türknauf und hält inne. »Eine simple frauenärztliche Untersuchung. Das kennst du doch bestimmt schon, oder?«
Ich schüttele heftig den Kopf. Manche Mütter bringen ihre Töchter zur Untersuchung zum Arzt, aber ich bin immer gesund gewesen. Als ich sechzehn wurde, bekam Mom einen Brief von Gesundheitsministerium. Sie las ihn und warf ihn sofort in den Müll. Ich hatte sie selten so wütend erlebt, daher kramte ich den Brief wieder hervor, sobald sie nicht hinsah. In dem Schreiben ging es um einen Termin für mich beim Amtsarzt. Ich bin nicht hingegangen, und Mom hat es nie wieder erwähnt.
»Bitte. Nein«, sage ich, als ich den Untersuchungstisch mit den großen Metallarmen am einen Ende erblicke. Ich verstehe nicht, was das alles soll. Ich muss hier raus. Dann denke ich an Sanna, aber nur flüchtig. Ich habe keine Kraft, um mich zu wehren, und der Griff der Ärztin ist fest. Sie zerrt mich in den Raum hinein.
»Es handelt sich nur um eine simple Untersuchung, versprochen. Nur ein paar Tests, mehr nicht. Spring rauf, und gleich ist alles wieder vorbei.« Sie klopft auf den Tisch.
Braydon hat recht gehabt. Das alles hier ist eine Riesendummheit. Doch nun habe ich keine Wahl mehr: Ich muss den Plan durchziehen. Ich biete alles an Kraft auf, was mir geblieben ist, und klettere auf den Untersuchungstisch. Sie drückt mich in eine liegende Position, stellt sich ans Ende des Tisches und zieht mich an den Hüften ein Stück nach vorne. Anschließend legt sie meine Füße in die Metallarme. Meine Beine sind jetzt links und rechts von ihr gespreizt. Ich versuche, die Schenkel zusammenzudrücken, doch sie drängt meine Knie sanft auseinander. »Entspann dich. Hol tief Luft. Mach die Augen zu.«
Ich tue, was sie sagt. Angestrengt versuche ich, Braydons Gesicht heraufzubeschwören, das Gefühl seiner Berührungen. Es funktioniert nicht. Gestern Nacht war mein ganzer Körper so lebendig, heute ist er schlaff und wie tot. Sie drückt und stochert zwischen meinen Beinen herum. Erklärt mir, was sie da gerade tut. Irgendein Test, der mich auf irgendwas prüft. Ich kann es nicht ertragen. Werde ich mich jemals wieder so fühlen wie vergangene Nacht? Im Augenblick kann ich es mir nicht vorstellen. Ich ziehe mich in die Dunkelheit hinter meinen Lidern zurück.
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27 . Kapitel
N ach der Untersuchung zapft man mir Blut ab. Die Frau, die mir gesagt hat, ich solle sie Dr. Ann nennen, bringt mich in einen Saal voller Pritschen. Sie erklärt mir, ich solle mich hinlegen und ausruhen, bis ich mich wieder kräftig genug fühle. Ich schlinge mir die kratzige, dünne Decke um die Schultern, ziehe die Knie an meine Brust und die Fersen an meinen Po.
Mein Verstand leert sich. Vielleicht ist es Schlaf. Es kümmert mich nicht. Ich will nicht denken.
Ich höre Stimmen – laute Stimmen. Ich glaube Braydon zu hören und reiße die Augen auf. Ein Gesicht füllt mein Blickfeld aus. Es muss eins von den Mädchen von vorhin sein, denn das Haar sieht noch feucht aus. Mein Blick wandert zu ihrem linken Unterarm: 1 - 1 - 3 - 2 .
»Steh auf. Komm. Da ist ein Feuer.« Sie zieht mich auf die Füße. Ich schwanke einen kurzen Moment lang und suche mein Gleichgewicht. Am Feuer zu sitzen wäre bestimmt schön. Vielleicht kann es die eisige Kälte vertreiben, die sich in meinen Knochen festgesetzt hat. Ich sehe aber nirgendwo einen Kamin oder einen Herd. Nur Reihe um Reihe leerer Liegen.
»Feuer.« Ich spreche das Wort aus und denke an Braydon und das Smiley-Feuerzeug. Feuer. »Feuer?«, sage ich wieder, und allmählich dämmert es mir. 1132 bewegt sich zielstrebig zur Tür. Ich stoße mit dem Schienbein gegen eine Liege und stolpere, aber 1132 lässt mich nicht stürzen. Brüllende Wachleute rennen an uns vorbei. Ich meine, ein Baby weinen zu hören. Ich kann Rauch riechen, doch das ist völlig unmöglich. Unser kleines Feuer muss längst
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