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Nevada Pass

Nevada Pass

Titel: Nevada Pass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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kampfunfähig. Er zog sich hoch, öffnete die hintere Tür des Versorgungswaggons und trat hinein.
    Er ging zwischen den aufeinandergestapelten Särgen und den Kisten mit den Medikamenten hindurch zum vorderen Ende des Versorgungswaggons und spähte durch eine der beiden kleinen kreisförmigen Luken hinaus: Carlos ging immer noch auf der Plattform auf und ab. Deakin zog seine Schafpelzjacke aus und befestigte sie vor der einen Sichtluke. Vor die andere hängte er eine schwere Sackleinwand. Dann zündete er eine der Petroleumlampen an, die an der Wand des Waggons hingen. Deakin bemerkte, daß zwischen zwei Brettern auf der rechten Seite ein schmaler Spalt klaffte, durch den möglicherweise ein dünner Lichtstrahl nach draußen fallen konnte. Aber um ihn zu sehen, mußte man rechts vom Waggon stehen, und Carlos befand sich vorne. Es bestand also kein Grund zu ernsthafter Besorgnis.
    Mit Hilfe eines Schraubenziehers und eines Hartmeißels, die er sich vorsorglich aus Banlons Werkzeugkiste mitgenommen hatte, öffnete Deakin eine messingbeschlagene, geölte Holzkiste mit der Aufschrift M EDIZINISCHER B EDARF . US A RMY . Der Deckel sprang mit einem mißtönenden Geräusch auf, aber Deakin kümmerte sich nicht darum – mit Lärm verbundene, geheime Unternehmungen ließen sich in einem fahrenden Zug viel leichter tätigen als in einem stehenden: Ein altersschwacher Zug, rostige Räder und uralte Drehgestelle machten während der Fahrt soviel Lärm, daß eine Unterhaltung auf die Entfernung von nur wenigen Schritten in normaler Lautstärke unmöglich war. Kein Geräusch im Inneren des Versorgungswaggons, das leiser war als ein Pistolenschuß, wäre für Carlos zu hören gewesen – und selbst einen Schuß hätte er wohl kaum gehört, denn er hatte seinen räumlich sehr begrenzten Fußmarsch wieder aufgegeben und beschlossen, es noch einmal mit dem Whisky zu versuchen.
    Die medizinischen Vorräte waren in ungewöhnliche graue, unbeschriftete Metallbehälter verpackt. Deakin nahm eine der Blechdosen aus der Kiste und hob den Deckel hoch. Sie enthielt glänzende Patronen. In Deakins Gesicht zuckte kein Muskel. Die Entdeckung war offenbar kein Schock für ihn. Er öffnete zwei weitere Büchsen: Der Inhalt war der gleiche.
    Deakin ließ die Holzkiste mit dem gewaltsam geöffneten Deckel achtlos stehen – er war offenbar an einem Punkt angelangt, an dem es ihm gleichgültig war, ob sein Tun bemerkt wurde. Er nahm sich eine zweite Kiste vor, die er ebenso brutal aufbrach wie die erste. Auch sie enthielt Munition. Mit der Lampe in der Hand ging er bis zum Ende des Versorgungswaggons, ohne die übrigen Holzkisten, die den Aufschriften nach ebenfalls medizinischen Bedarf enthielten, weiter zu beachten. Er kam zu den aufeinandergestapelten Särgen und machte sich daran, einen aus dem unteren Ständer herauszuziehen. Dieses Vorhaben kostete ihn soviel Kräfte, daß sich seine Zweifel daran, daß die Särge tatsächlich leer waren, noch erheblich verstärkten.
    Carlos setzte die Flasche ab, aus der er getrunken hatte, schüttelte sie und stellte sie auf den Kopf: Sie war leer. Kummervoll und leicht schwankend trat er an das seitliche Geländer der Plattform, lehnte sich weit hinaus und schleuderte die Flasche in die Dunkelheit. Und dann verschwand plötzlich der kummervolle Ausdruck von seinem Gesicht, und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, wodurch seine Züge jede Gutmütigkeit verloren. Er blinzelte, aber es änderte sich nichts: aus einer Lücke in der Seitenwand des Versorgungswaggons drang ein schwacher Lichtschein nach draußen. Mit einer Geschwindigkeit und Behendigkeit, die man einem so großen und schweren Mann wie ihm gar nicht zugetraut hätte, schwang er sich von der hinteren Plattform des zweiten Waggons auf die vordere Plattform des Versorgungswaggons. Und dann griff er in die Innentasche seines Mantels und brachte ein sehr unerfreulich aussehendes, feststehendes Messer zum Vorschein.
    Am anderen Ende des Waggons entfernte Deakin gerade den böse zugerichteten Deckel von dem Sarg. Er hob die Laterne, und sein Gesicht verhärtete sich, aber es zeigte weder Überraschung noch Erschütterung – er hatte gefunden, was er erwartet hatte: Reverend Peabody war seit vielen Stunden tot.
    Deakin legte den Deckel wieder an seinen Platz und zog einen weiteren Sarg aus dem Gestell, was diesmal noch erheblich mehr Kraftaufwand erforderte als beim ersten Mal. Deakin machte rücksichtslos Gebrauch von seinem

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