Nevada Pass
Hartmeißel, und binnen Sekunden war der Deckel entfernt. Er blickte ins Innere des Sarges und nickte fast unmerklich: Der Sarg war bis zum Rand voll mit frisch geölten Winchester-Büchsen.
Deakin warf den Deckel lose auf den Sarg, stellte die Petroleumlampe darauf, zog einen dritten Sarg heraus und öffnete ihn dank der Übung in wenigen Sekunden. Er hatte gerade festgestellt, daß auch dieser Sarg voll mit brandneuen Winchester-Gewehren war, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte: Die Petroleumlampe hatte geflackert – ein Alarmzeichen, denn in dem geschlossenen Waggon hätte normalerweise kein Luftzug entstehen können.
Deakin drehte sich genau in dem Augenblick um, als Carlos sich mit gezücktem Messer auf ihn stürzen wollte. Deakin packte die Hand, die das Messer hielt, am Gelenk, und es kam zu einem kurzen, aber erbitterten Kampf, der jäh unterbrochen wurde, als beide Männer über einen Sarg stolperten und im Fallen voneinander abließen. Deakin stürzte in einen Gang zwischen zwei Reihen von Särgen, während Carlos mitten in den Waggon fiel. Beide Männer waren sofort wieder auf den Beinen, und Carlos hob das Messer, um es nach Deakin zu werfen, dem in der Enge kaum Platz für taktische Bewegungen blieb. Er trat heftig gegen den losen Deckel des Sarges, auf dem die Petroleumlampe stand, der Deckel flog in die Luft und nahm Carlos sekundenlang die Sicht, dann zerschellte die Petroleumlampe auf dem Boden, und der Versorgungswaggon war in Dunkelheit gehüllt. Deakin verlor keine Zeit: Im Dunkeln gegen einen Mann zu kämpfen, der ein Messer hatte, wäre regelrechter Selbstmord gewesen.
Er rannte zum hinteren Ende des Versorgungswaggons, trat hinaus und schloß die Tür hinter sich. Er blickte sich nicht einmal mehr um: ihm blieb nur ein Weg – nach oben. Er kletterte über das Geländer auf das Dach, legte sich auf den Bauch, blickte hinunter und wartete auf Carlos. Aber die Sekunden vergingen, und Carlos zeigte sich nicht. Deakin wandte den Kopf und spähte in die Dunkelheit. Er wischte sich die Flocken aus dem Gesicht, rieb sich die Augen und hielt erneut Ausschau.
Keine fünf Meter entfernt kroch Carlos mit gezücktem Messer vorsichtig das Dach entlang. Er machte ganz den Eindruck, als freue er sich auf die Fortsetzung des Kampfes. Deakin teilte seine Freude nicht – im Augenblick wäre er nicht einmal für einen schmächtigen Halbwüchsigen ein ernsthafter Gegner gewesen. Physisch gesehen war Carlos ihm haushoch überlegen, aber Deakin hoffte, daß wenigstens die geistige Beweglichkeit seines Verfolgers durch den beträchtlichen Konsum von Whisky stark eingeschränkt war.
Deakin, der jetzt auf Händen und Knien auf dem Dach hockte, drehte sich um und sah dem näherkommenden Carlos entgegen. Weiter vorn glaubte er, den Beginn einer langen Brücke zu sehen, aber es blieb ihm keine Zeit mehr, sich zu vergewissern: Carlos war keine zwei Meter mehr entfernt, und hob mit teuflischem Grinsen die Hand mit dem Messer. Er sah nicht aus, als befürchte er sein Ziel zu verfehlen. Deakin nahm eine Handvoll gefrorenen Schnee und schleuderte ihn seinem Angreifer ins Gesicht, was diesen jedoch nicht davon abhielt, das Messer nach ihm zu werfen. Aber Deakin hatte sich bereits nach vorn geworfen, prallte mit der rechten Schulter gegen Carlos' Brustkasten, und das Messer flog über ihn hinweg. Carlos erwies sich unerfreulicherweise als sehr kräftig. Es war, als sei Deakin gegen eine Mauer gerannt. Allerdings hatte das vereiste Dach ihm nicht die Möglichkeit gegeben, mit voller Wucht anzugreifen. Carlos' Hände schlossen sich um seinen Hals.
Deakin versuchte den Griff des Farbigen zu lockern, aber das erwies sich als unmöglich. Wütend schlug er ihn mit aller noch verbliebenen Kraft wahllos ins Gesicht und auf den Körper. Aber Carlos lächelte nur breit. Langsam und vor Anstrengung zitternd zog Deakin beide Füße an und richtete sich auf. Carlos machte die Bewegung mit – solange er nicht gezwungen wurde, seine Hände vom Hals seines Opfers zu nehmen, war es ihm gleichgültig, ob er lag, hockte oder stand.
Bei aller Wut bewegten sich die beiden Männer sehr langsam und vorsichtig, denn beide befürchteten, auf dem spiegelglatten Dach den Halt zu verlieren. Und dann sah Carlos plötzlich unter sich die ersten Bohlen einer Brücke, die über eine scheinbar bodenlose Schlucht führte. Unvermittelt grub er seine Finger tief in Deakins Nacken. Seme Selbstüberschätzung und sein Whiskykonsum hatten ihn daran
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