Nevada Pass
Dunkelheit sie verschluckt.
Deakin richtete sich auf und gestattete sich ausnahmsweise ein allerdings kaum wahrnehmbares, befriedigtes Lächeln, das jedoch sofort wieder verschwand, als er die Tür zum Abteil der Offiziere öffnete. Der Gouverneur, Claremont, Pearce und O'Brien saßen – wie üblich mit Gläsern in der Hand – dicht neben dem Ofen, während Marica etwas abseits und mit im Schoß gefalteten Händen dasaß. Als Deakin in der Tür erschien, blickten alle gleichzeitig auf.
»Essen gibt's in der Küche«, sagte O'Brien.
»Das sagten Sie schon. Wo kann ich heute schlafen?«
»Sie könnten lernen, ›danke‹ zu sagen.«
»Ich kann mich nicht erinnern, daß mir jemand für die sieben Stunden gedankt hätte, die ich in diesem verdammten Führerhaus zugebracht habe. Wo schlafe ich?«
»Hier«, sagte Claremont. »Legen Sie sich auf eines der Sofas.«
Deakin nickte und wollte weitergehen, aber Claremont hielt ihn zurück.
»Deakin!« Er drehte sich um. »Sie haben da draußen einiges geleistet. War es kalt?«
»Ich habe es überlebt.«
Claremont sah den Gouverneur an, der erst zögerte, dann aber nickte. Claremont holte eine Flasche Whisky aus dem Getränkeschrank und reichte sie Deakin, der sie zögernd entgegennahm. »Wie Miss Fairchild sagte, Sie sind unschuldig, bis Ihre Schuld bewiesen ist. Nehmen Sie die Flasche. Vielleicht wärmt der Whisky Sie ein wenig auf, Deakin.«
»Vielen Dank, Colonel.«
Als Deakin auf dem Weg zum hinteren Ende des Waggons an Marica vorbeikam, blickte sie auf, und ein kaum wahrnehmbares Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Deakin ging weiter, als habe er es nicht bemerkt, und sofort wurde Maricas Gesicht wieder ausdruckslos wie das seine.
Den drei Männern in der winzigen Küche gelang das schier Unmögliche: Sie fanden alle Platz. Carlos und Henry bedienten sich großzügig aus Deakins Flasche, während Deakin sich über eine Mahlzeit hermachte, die quantitativ imposant, qualitativ jedoch recht fragwürdig war: Carlos hatte seine Kochkünste aus verständlichen Gründen nicht voll entfalten können. Deakin kratzte mit der Gabel die letzten Reste von seinem Teller, hob sein Glas und leerte es in einem Zug.
»Tut mir leid, Mr. Deakin«, entschuldigte sich Carlos, »ich fürchte, es war etwas angebrannt.«
Deakin fragte nicht, was ›es‹ war. »Lassen Sie nur. Auf jeden Fall bin ich satt geworden.« Er gähnte. »Jetzt brauche ich nur noch eine Mütze voll Schlaf.« Er nahm die Whiskyflasche, überlegte kurz und stellte sie wieder hin. »Ich habe nie sonderlich gern getrunken. Ich glaube, ihr habt mehr davon.«
Carlos strahlte: »Besten Dank, Sir, besten Dank!«
Deakin ging zurück zum Tagesabteil. Als er eintrat, war Marica bereits gegangen, und der Gouverneur, Claremont, O'Brien und Pearce befanden sich im Aufbruch zu ihren Nachtquartieren; keiner würdigte ihn eines Blickes, geschweige denn eines Wortes. Deakin seinerseits tat, als sei er bereits allein im Abteil. Er schob noch ein paar Holzscheite in den Ofen, streckte sich auf dem Sofa neben der vorderen Eingangstür aus und zog seine Uhr aus der Tasche: Es war ein Uhr.
7
E in Uhr«, sagte Sepp Calhoun. »Wirst du bei Tagesanbruch wieder hier sein?«
»Ich werde bei Tagesanbruch wieder hier sein.« White Hand stieg die Stufen vom Büro des Kommandanten hinab und trat zu seinen Kriegern, die sich bereits auf dem Gelände des Forts versammelt hatten. Es waren mindestens fünfzig und alle beritten. White Hand schwang sich in den Sattel und hob grüßend die Hand. Calhoun erwiderte den Gruß. White Hand riß sein Pferd herum und trieb es in scharfem Galopp auf das Tor zu; seine Krieger folgten ihm.
Deakin wachte auf, schwang die Beine über den Rand des Sofas und blickte erneut auf seine Uhr: Es war vier Uhr. Er stand auf und ging leise durch den Gang, vorbei an den Abteilen, in denen der Gouverneur und Marica schliefen, und trat auf die hintere Plattform des ersten Waggons hinaus. Von dort kletterte er auf die vordere Plattform des zweiten Waggons. Vorsichtig spähte er durch das Fenster in der Tür.
Keine zwei Meter entfernt ragten zwei dürre Beine aus der Küche in den Gang – unverkennbar Henrys.
Deakin zog sich mit nachdenklichem Gesicht vom Fenster zurück. Er kletterte auf das Geländer der Plattform und zog sich mit einiger Mühe auf das Waggondach hinauf. Auf Händen und Knien kroch er über das schnee- und eisverkrustete Dach von einem Halt bietenden Entlüfter zum nächsten, und das
Weitere Kostenlose Bücher