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Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte

Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte

Titel: Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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einzelnen. Und mit ›sie‹ meine ich sowohl diese Männer als auch den Typen, dessen Auto wir gerade geklaut haben.« Tys Kopf wandert hin und her, während er die Straße hinter uns und vor uns beobachtet und sich dabei zwischen den Autos hindurchschlängelt. Aber er fährt jetzt langsamer, um sich dem Verkehrsfluss anzupassen – wahrscheinlich befürchtet er, jemand könnte mit dem Handy die Polizei anrufen, um einen Raser zu melden. »Wir haben Glück gehabt, dass es ein Subaru ist, die inoffizielle Staatskarosse von Oregon. Das ist die perfekte Tarnung.«
    Ich versuche, mich hinzulegen, doch vorher muss ich den Kindersitz bewegen, der mit komplizierten Haken und Riegeln befestigt ist. Aber darüber brauche ich mir nicht den Kopf zu zerbrechen – meine Finger wissen automatisch, wo sie drücken und ziehen müssen, damit er sich löst.
    Das liegt wohl an dem kleinen Jungen auf dem Foto. Meinem Bruder, an den ich mich nicht mehr erinnere mit meinem blöden Hirn, dessen Existenz jedoch trotzdem irgendwie in meiner Körpererinnerung verankert ist. Genau wie Autofahren ist die Erinnerung, wie man einen Kindersitz abschnallt, einfach da, schlummert im Verborgenen, bis man sie braucht. Wird sich mein Gehirn irgendwann dazu entschließen, mir irgendwelche wirklich nützlichen Informationen zurückzugeben? Ich zwänge den Kindersitz über die Rücksitzlehne in den Kofferraum, genau wie die Skateboards und den Rucksack. Dann rolle ich mich seitlich zusammen, die Füße hinter Ty.
    Aus dieser Perspektive kann ich sein Profil und seine Augen im Rückspiegel sehen. Er konzentriert sich so sehr darauf, uns hier rauszubringen, dass er gar nicht merkt, wie ich ihn beobachte. Um mich von meiner Angst, geschnappt zu werden, abzulenken, fasse ich im Geiste zusammen, was ich über diesen Jungen weiß, den ich noch nicht mal einen Tag kenne.
    Volle Lippen, die jetzt zusammengepresst sind.
    Die Augen unter seinen dichten schwarzen Brauen stehen niemals still, sein Blick huscht vom Rückspiegel zu den Seitenspiegeln und dann wieder nach vorne zur Straße.
    Dunkles Haar, das so dick ist, dass es absteht, abgesehen von einer Strähne, die ihm in die Stirn fällt.
    Eine Stupsnase, die ihn ein wenig unvollendet aussehen lässt, als hätte jemand vergessen, die scharfen Konturen nachzuzeichnen, die zu seinen hohen Wangenknochen und der Präzision seiner langen Koteletten gepasst hätten.
    Im Grunde ist Ty auf eine Art und Weise gut aussehend, wie nur ein Kerl es vermag.
    »Wir haben Bend verlassen und sind jetzt auf dem Highway«, verkündet er und ich sehe, dass sich seine Schultern ein wenig entspannen. »Meine Damen und Herren, der Captain hat die Signalleuchten für das Anlegen der Sicherheitsgurte eingeschaltet. Bitte verstauen Sie Ihr Handgepäck unter dem Sitz vor Ihnen oder in der Gepäckablage über Ihnen. Nehmen Sie bitte Platz, legen Sie den Sicherheitsgurt an und sorgen Sie dafür, dass das Tablett vor Ihnen hochgeklappt und Ihre Rückenlehne in aufrechter Position ist.«
    Der Vortrag ist fehlerfrei, als hätte er ihn schon eine Million Male gehalten. »Du klingst schrecklich offiziell«, sage ich. »Arbeitest du nebenher schwarz als Stewardess?«
    »Nachdem sich meine Eltern getrennt hatten, bin ich oft nach Colorado geflogen, um meinen Dad zu besuchen.« Der Blinker macht blink-blink-blink . Ty blickt über seine Schulter und ich spüre, wie sich der Wagen nach links bewegt. Wir kommen an einem dreigliedrigen Laster vorbei. Der Fahrer – ein riesiger Typ mit einem noch riesigeren Bart – lächelt auf mich herunter. Unwillkürlich lächle ich zurück. Es fühlt sich ein wenig eingerostet an.
    »Deine Eltern haben sich scheiden lassen?«
    Er saugt die Unterlippe nach innen und schweigt für einen langen Moment. So lange, dass ich nicht weiß, ob ich noch eine Antwort bekomme. Endlich sagt er: »Ich weiß nicht. Wie sagt man, wenn einer von ihnen tot ist?«
    Das Lächeln verschwindet aus meinem Gesicht und ich beuge mich vor, um ihn am Arm zu berühren. »Was ist passiert?«
    »Vor ein paar Jahren hat meine Mom beschlossen, dass sie nicht mehr mit meinem Dad zusammen sein will. Eigentlich ist sie aber schon mit diesem Kerl ausgegangen, für den sie gearbeitet hat. Das hat sie am Anfang allerdings nicht zugegeben. Sie hat nur gesagt, dass sie zu jung geheiratet hätten und dass sie es leid sei, nie Geld zu haben. Mein Dad ist nach Colorado gezogen, weil er so gern Ski fährt – fuhr. Außerdem hat er angefangen, Möbel

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