Never Knowing - Endlose Angst
damit ich nicht den Boden wieder verlor, den ich gerade gewonnen hatte, und sagte: »John, es ist schön, mit dir zu reden, aber ich muss jetzt wirklich ins Bett.«
Er seufzte. »Dann ruh dich aus, wir reden bald wieder.«
Ein paar Minuten später rief Billy an, um mir zu sagen, dass John südwärts auf dem Yellowhead Highway unterwegs war. Sie glaubten, dass er in McBride gewesen sei, einem kleinen Ort zwischen den Rockys und den Cariboo Mountains. Dort lebten weniger als tausend Menschen, aber keinem war jemand aufgefallen, auf den Johns Beschreibung passte. Die Polizei fragte sich, ob er diese Gegenden regelmäßig aufsuchte. Womöglich fiel er niemandem als Fremder auf, weil sie ihn
kannten
. Die Cops hofften, dass er auf derselben Schnellstraße weiter Richtung Süden fuhr, und sorgten dafür, dass alle Tankstellen, Fernfahrerkneipen und Geschäfte seine Beschreibung hatten. Als Billy endlich auflegte, ging ich sofort ins Bett, aber ich schlief nicht. Ich starrte nur an die Zimmerdecke, überlegte, ob John jetzt auf diesem Highway war und mit jeder Minute, die verstrich, näher kam.
Am nächsten Tag kam ein weiteres Paket an. Dieses Mal rief ich sofort Sandy und Billy an. Ich dachte, sie würden es sich einfach schnappen und wieder verschwinden, aber sie öffneten es bei mir, damit ich, wenn John anrief, wusste, was darin war.
Diese Puppe war blond.
Beim Anblick der seidigen Locken, des kleinen getupften Tanktops und der weißen Shorts hätte ich am liebsten geweint. Welcher Frau mochten diese Haare gehört haben? Ob sie wohl ihr ganzer Stolz gewesen waren?
Die Polizei ging davon aus, dass er das Paket in Prince George aufgegeben hatte, und machte sich daran, alle Annahmestellen in der Gegend zu überprüfen, aber ich wusste bereits, dass er klug genug war, sich zu tarnen. Sobald Sandy und Billy gegangen waren, ging ich nach oben und rief erneut die Website über den Campsite-Killer auf. Die Bilder seines ersten Opfers zeigten eine Frau mit schwarzen Haaren. Dann rief ich die Fotos seines nächsten Opfers auf. Suzanne Atkinson hatte glatte braune Haare gehabt – und einen Mittelscheitel getragen. Sein drittes Opfer, die Frau, die er getötet hatte, nachdem Julia entkommen war, war Heather Dawson. Auf dem Foto lächelte sie breit, ihr herzförmiges Gesicht wurde von glänzenden blonden Locken eingerahmt. Sie schien stolz darauf zu sein.
Als man sie zuletzt gesehen hatte, hatte sie eine getupfte Bluse getragen.
Ich rief sofort bei Billy an. »Sie
wussten
, dass er Teile von ihrer Kleidung und ihren Haaren mitnimmt.«
Er schwieg kurz, dann sagte er: »Wir wussten es, aber wir wussten nicht, was er damit gemacht hat.«
»Was verschweigen Sie mir sonst noch?«
»Wir versuchen, Sie so gut es geht zu informieren, ohne die Ermittlungen zu gefährden.«
»Und was ist mit der Gefahr, in der ich schwebe? Sollte ich nicht …«
»Wir
beschützen
Sie, Sara. John ist jemand, der Menschen ziemlich gut durchschauen kann. Je weniger Sie wissen, desto besser. Wenn Sie aus Versehen etwas preisgeben, das nur die Polizei weiß, könnten wir ihn verlieren – oder Schlimmeres.«
Ich holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Ob es mir nun passte oder nicht, was er sagte, hatte Hand und Fuß.
»Ich hasse es, im Dunkeln zu tappen. Ich
hasse
es.«
Er lachte. »Das kann ich Ihnen absolut nicht verdenken. Ich verspreche, Ihnen alles zu erzählen, was Sie wissen müssen, sobald wir es erfahren. Abgemacht?«
»Können Sie mir sagen, warum er die Gesichter leer lässt?«
»Ich nehme an, dass er sie dadurch depersonalisiert. Aus demselben Grund zieht er den Opfern ihr Hemd über den Kopf – er kann ihnen nicht ins Gesicht blicken.«
»Das habe ich mir auch gedacht. Glauben Sie, dass er sich schämt?«
»Wenn Sie ihn fragen, wird er vermutlich ja sagen. Er ist ein Psychopath – er weiß, wie er Gefühle vortäuschen kann. Aber ich glaube nicht, dass er sie tatsächlich auch nur eine Minute lang empfindet.«
An diesem Abend rief John erneut an, und ich schaffte es, mich für die Puppe zu bedanken. Doch dieses Mal sagte ich: »Kannst du mir etwas über das Mädchen erzählen?«
»Warum?«
Er leugnete also nicht, dass die Haare von einem seiner Opfer stammten. »Ich weiß nicht, ich habe nur über sie nachgedacht. Wie sie wohl war …«
»Sie hatte ein hübsches Lächeln.«
Ihr Gesicht blitzte vor meinem geistigen Auge auf. Ich schloss die Augen.
»Hast du sie deshalb getötet?«
Er antwortete
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