nevermore
Beachtung schenken?« Die behandschuhten Finger, die ihre umklammert hielten, griffen noch fester zu.
Isobel öffnete die Augen. Reynolds’ dunkler Blick bohrte sich in ihre Pupillen und wirkte besorgt, wütend und ... ängstlich? Er schüttelte sie.
»Warum hörst du denn nicht auf mich? Wenn du doch nur endlich die Kontrolle übernehmen würdest!«
Die Welt vor Isobels Augen verschwamm. Der Himmel über Reynolds wurde vom dunklen Violett Unheil verheißender Sturmwolken aufgewühlt. Der Ascheregen war heftiger geworden und blieb wie Schneeflocken an ihren Wimpern hängen. Sie blinzelte sie weg.
»Varen«, krächzte Isobel. Sie lockerte ihren Griff um Reynolds und setzte sich mühsam auf. Verschwommen konnte sie erkennen, dass die Türen zu dem Palast, wo der Maskenball stattfand, offen standen. Dieses Wesen - der Rote Tod - musste dort hineingegangen sein.
Isobel presste sich an Reynolds, der sie festhielt. Sie hatte Mühe, aufzustehen, doch er stützte sie, hielt sie an den Schultern fest.
»Dort wirst du ihn nicht finden.«
Blitzartig drehte sie sich zu Reynolds um und sah ihm in die Augen.
Der Wind stieß einen lang gezogenen gedämpften Seufzer aus, der den Rand seines Umhangs umherpeitschte. Der Sturm wurde heftiger, wirbelte einen Schwall herunterfallender Asche auf und blies ihn zwischen sie.
»Was sagst du da? Wo ist Varen?«
»Entkommen. Wenn ich erwischt werde, könnte mich seine Flucht das bisschen kosten, was von meiner Seele noch übrig ist Und von deiner.« Er meinte es ernst. »Um ehrlich zu sein, könnte es alles kosten. Lass es nicht vergebens gewesen sein.«
Isobel schüttelte den Kopf und versuchte zu verstehen. »Wie denn?«
»Ich bin dir gefolgt«, antwortete Reynolds knapp. »Du hast mir keine Wahl gelassen. Ich wusste, wie ich in das violette Zimmer hineinkommen konnte. Hoffentlich hat mich niemand gesehen. Wenn er nicht abgefangen wurde, dann wartet er jetzt auf der anderen Seite auf dich, in deiner Welt.«
Isobel zögerte und griff nach seinem Ärmel. Sie wollte ihm so gerne glauben. »Du hast doch gesagt, dass es keinen Weg gibt!«
»Es gibt auch kein wahres Entrinnen für ihn - für niemanden. Nicht, solange die Verbindung, die er geschaffen hat, besteht. So lange, wie sie existiert, wird die Traumwelt stets Anspruch auf ihn erheben.« Reynolds förderte aus seinem Umhang ein Bündel groben grünen Stoffs zutage.
Es war eine vertraute Jacke - Varens. Da waren das auf den Rücken geheftete Vogelbild und die Aufnäher seiner Lieblingsbands an den Ärmeln. Verblüfft griff Isobel danach. Sie nahm es in ihre erdverschmutzten Hände und konnte an dem Geruch erkennen, dass es wirklich Varens Jacke war.
»Woher hast du die?«
»Er hat sie mir als Beweisstück gegeben, weil du mich als Freund bezeichnet hast. Und jetzt flehe ich dich an, als Freund.«
Isobel blickte von der Jacke auf und sah, dass das Flehen in Reynolds’ Augen echt und zu gleichen Teilen von Schmerz und Verzweiflung erfüllt war.
»Hilf mir, mein Versprechen einzuhalten, so wie ich dir geholfen habe, deins zu halten.« Der Ascheregen um sie herum
wurde dichter. »Die Traumwelt und die Welt deiner Realität haben bereits begonnen, miteinander zu verschmelzen. Alles, was du kennst und liebst, ist in Gefahr. Es hat gerade erst begonnen. Noch ist es nicht vollendet, noch besteht ein kleiner Funken Hoffnung. So lange, wie diese Hoffnung an deiner Seite bleibt, werde auch ich nicht von dir weichen. Doch du musst dem allem jetzt endlich ein Ende bereiten.«
Isobels Blick wanderte zu dem aufgewühlten Boden und der dickflüssigen schwarzen Blutspur - dem unheilvollen Pfad, den der Rote Tod hinterlassen hatte. »Was ist mit Brad?«
»Sein Geist wurde von den Nocs gestohlen und er existiert hier nur in Astralform. Er ist zwischen den Welten gefangen. Solange er von den dunklen Kräften festgehalten wird, ist sein Körper in deiner Welt, während sein Bewusstsein hier gefangen ist. Eine qualvolle Verbindung, die nur der Tod trennen kann. Genau dasselbe ist auch Edgar zugestoßen.« Reynolds stand auf und Isobel spürte, wie er sie hochzog und auf die Beine stellte.
»Aber wie kann ich ihn denn befreien? Ich konnte ihn ja noch nicht einmal anfassen.«
»Du darfst ihn jetzt auch nicht anfassen. Er hat die Rolle des Roten Todes zugewiesen bekommen - eine Gestalt, deren einziger Sinn und Zweck die Zerstörung ist, wie du ja weißt.«
»Was meinst du damit? Von wem zugewiesen - oder von was?«
»Für Fragen ist keine
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