Neville, Katherine - Der magische Zirkel
sagte Sam. «Dacian Bassarides ist fünfundneunzig und wohlauf. Und manche erinnern sich sogar noch an ihn. Vor einem halben Jahrhundert war er ein bekannter Virtuose á la Paganini. Sie nannten ihn ‹Fürst der Füchse›. Wenn du nicht von ihm gehört hast, liegt es nur daran, daß er aus irgendeinem Grund keine Plattenaufnahmen machen wollte. Ich habe erst jetzt durch dich erfahren, daß er Laf unterrichtet hat. Und wo wir ihn heute finden können? Nun, das hätte dir dein Freund Hauser sagen können. Soviel ich weiß, hat Dacian Bassarides die letzten fünfzig Jahre und sogar während des Krieges in Frankreich gelebt und ist eng mit Zoe befreundet, die jetzt über achtzig Jahre alt sein muß. Wenn jemand ein Treffen mit ihm arrangieren könnte, dann sie.»
Ich wußte, daß es für Sam zu gefährlich war, nach Paris zu fliegen, um Dacian Bassarides zu suchen. Er brauchte einen neuen Paß und müßte sich in zwei Ländern mit falschen Papieren ausweisen. Aber ich fand bald eine Lösung für dieses Problem.
Hatte Wolfgang Hauser nicht gesagt, er wolle mir helfen, meine Erbschaft zu «beschützen», und er hoffe, ich würde Tante Zoe in Paris treffen, um mehr zu erfahren? Nachdem uns der Pod mit einem Regierungsauftrag nach Rußland schicken wollte, könnten wir vielleicht in Paris Zwischenstation machen. Sam schien die Vorstellung von mir und Wolfgang im frühlingshaften Paris nicht sehr zu begeistern, aber schließlich war es seine Idee, Dacian Bassarides zu interviewen.
Wir einigten uns, daß Sam während der nächsten Wochen, in denen ich in Europa unterwegs sein würde, heimlich unseren Familienstammbaum rütteln sollte, um zu sehen, ob ein paar faule Äpfel herunterfielen, und daß es eine gute Idee wäre, wenn er seinen Großvater Dark Bear in der Nez-Perce-Reservation in Lapwai besuchen würde. Obwohl wir beide Dark Bear seit Jahren nicht gesehen hatten, dachten wir, er könnte vielleicht einiges über Sams Vater erzählen aus der Zeit vor Sams Geburt, als Earnest in Lapwai lebte. Vielleicht wußte Dark Bear etwas, das wenigstens auf eine der Personen, die in das Familienschisma verwickelt waren und Manuskripte geerbt hatten, etwas mehr Licht warf.
In meiner Familie gab es nicht nur exzentrische Charaktere, Berühmtheiten und verfeindete Parteien, sondern auch etwas Geheimnisvolles oder auch nur Heimliches, das tief in ihrem Innersten begraben zu liegen schien. Um dieses Innere zu erforschen, benötigten wir neue Informationen von jemand, der unparteiisch war und nicht dazugehörte. Ich dachte an die Mormonenkirche am Great Salt Lake.
Nur wenige «Nichtmormonen» wissen, daß die Mormonenkirche bei Salt Lake City umfangreiche genealogische Archive unterhält mit Familienregistern, die bis auf Kain und Set zurückgehen. Olivier erzählt e mir, diese Register befänden sich, in Computern gespeichert, in bombensicheren Höhlen in einem Berg in Utah – wie die Runenteppiche der legendären Nornen von Nürnberg, dachte ich.
Nun hatten Sam und ich zwar unseren Aktionsplan entworfen, aber wir wußten nicht, wie wir uns verständigen sollten, wenn wir diese Hütte verlassen und sich unsere Wege trennen würden. Es war gar nicht so einfach, denn keiner konnte genau sagen, wo er am nächsten Morgen sein würde. Aber Sam hatte eine Idee: Er würde jeden Tag in ein Copycenter gehen und an den Computer an meinem Arbeitsplatz ein Fax schicken mit einem falschen Namen, aber einer echten Nummer, an die ich zurückfaxen konnte. Ich würde ihm dann von einem Apparat außerhalb der Firma alle neuen Informationen verschlüsselt mitteilen und eine Nummer angeben, unter der er antworten konnte. Das würde für eine Weile funktionieren, denn Copyshops gab es in jeder Stadt rings um den Globus – ausgenommen vielleicht in Rußland.
Als Sam unser Feuer gelöscht hatte und wir die Hütte nach gut einer Stunde wieder verließen, glitzerte der Schnee auf der hochgelegenen Wiese im blendend hellen Sonnenlicht. Bevor ich meine Sonnenbrille aufsetzen konnte, zog mich Sam an sich und küßte mich auf die Stirn. Dann sah er mich an, aber er lächelt e nicht.
«Vergiß nicht, daß ich dich liebe», sagte er ernst. «Und lauf nicht noch einmal in eine Lawine. Ich möchte dich gern in einem Stück wiederhaben. Und diese Paris-Geschichte gefällt mir immer noch nicht.»
«Ich liebe dich auch», sagte ich lächelnd. Ich setzte die Brille auf und gab ihm die Hand. «In der Zwischenzeit, Blutsbruder, möge der Geist der Großen Bärin
Weitere Kostenlose Bücher