Neville, Katherine - Der magische Zirkel
in deinen Mokassinspuren wandeln. Und bevor wir uns trennen, mußt du mir bei ihrem Totem schwören, daß du auf dich aufpassen wirst.»
Sam lächelte und hob die Hand zum Schwur. «Großes Indianerehrenwort», sagte er.
Ich kam gerade über den Kamm der hohen Weide, als ich seine Umrisse vor dem blauen Schnee im Schatten der unteren Wiese sah – eine athletische Gestalt in dunklem Skianzug, mit Schneebrille und vom Morgenwind zerzaustem Haar. Ich brauchte sein Gesicht nicht zu sehen. Keine zwei Menschen auf der Erde konnten sich so anmutig und behend im Schnee bewegen. Es war eindeutig Wolfgang Hauser. Und er kam auf mich zu, in meinen Skispuren – den einzigen, da war ich mir sicher, die hier nach dem Schneefall der vergangenen Nacht zu sehen waren.
Ich war nur froh, daß wir beschlossen hatten, uns auf verschiedenen Routen von hier zu entfernen. Aber so schnell, wie Wolfgang lief, konnte es nur noch Sekunden dauern, bis er die Stelle am Wald erreichte, wo Sam und ich in der Dunkelheit zusammengetroffen waren. Wie zum Teufel sollte ich erklären, warum und mit wem ich in diesem abgelegenen Winkel vor Morgengrauen langlaufen war? Die Frage, was Wolfgang hier zu suchen hatte, nachdem er tausend Kilometer weit weg in Nevada sein sollte, mußte erst einmal warten.
In heller Panik stürzte ich mich den Hang hinunter und hetzte bergab durch den Wald. Ich hatte nicht daran gedacht, daß ich vielleicht auf demselben Weg, den ich heute früh eingeschlagen hatte, zurückfahren sollte. Ich wußte nicht einmal mehr, wo meine alte Spur in diesem Wald verlief oder wo genau ich Sam getroffen hatte – schließlich war es noch dunkel gewesen. Mein einziges Ziel war, Wolfgang zu finden, bevor er jene Stelle entdeckte und wir etwas sehr Schwieriges zu besprechen haben würden. Ich lief so schnell, daß die Bäume nur so an mir vorüberflitzten und ich schnurstracks an Wolfgang vorbeisauste.
«Ariel!» hörte ich und bremste so scharf, daß ich mich fast um einen Baum wickelte.
Behutsam ging ich im Zickzack zurück, während Wolfgang sich zwischen den verschneiten Bäumen durchschlängelte. Jedesmal, wenn er einen Ast berührte, fiel eine Ladung Schnee mit einem dumpfen Plumps auf die Erde. Als wir uns schließlich im Halbschatten gegenüberstanden, sah er mich fragend und so finster an, daß ich es für besser hielt, als erste etwas zu sagen.
«Hallo Dr. Hauser! Was für eine Überraschung», sagte ich und versuchte, ihm ein Lächeln zu entlocken, obwohl ich immer noch nicht wußte, ob er unsere Spuren gefunden hatte. «Wir laufen uns an den seltsamsten Orten über den Weg, findest du nicht? Ich dachte, du bist in Nevada.»
«Ich habe dir doch gesagt, ich würde kommen, wenn ich es einrichten könnte», entgegnete er le icht gereizt. «Ich bin die ganze Nacht gefahren, um herzukommen.»
«Und danach hattest du vermutlich das Bedürfnis nach einem kleinen Abstecher ins Nirgendwo», bemerkte ich ziemlich naßforsch.
«Ariel, bitte, spiel keine Spielchen mit mir», sagte er. «Sobald ich im Hotel war, bin ich zu deinem Zimmer gegangen. Die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen. Als du nicht da warst, habe ich mir schreckliche Sorgen gemacht. Aber ich dachte, bevor ich Alarm schlage, sehe ich erst einmal auf dem Hotelparkplatz nach. Dein Wagen war nicht da, aber die einzigen frischen Spuren auf dem Parkplatz führten in diese Richtung. So habe ich dich gefunden. Aber jetzt bist du dran. Was hast du dir bloß dabei gedacht, noch vor Sonnenaufgang und Meilen vom Hotel entfernt allein Ski zu laufen?»
Toll! Er dachte also, ich sei allein unterwegs gewesen, und das bedeutete, daß er unsere Spuren nicht entdeckt hatte. Aber ganz aus dem Schlamassel war ich damit noch nicht.
«Ich habe gehofft, ein bißchen Bewegung in der frischen Luft würde mir guttun nach dem Cognac, den deine Schwester und ich gestern nacht auf meinem Zimmer geschluckt haben», sagte ich. Und das stimmte sogar.
«Bettina?» fragte er erstaunt. Also hatte ich den richtigen Knopf gedrückt. «Bettina ist hier im Hotel?»
«Wir haben uns gemeinsam betrunken, und ich habe sie über dich ausgefragt. Du hättest schon mal erwähnen können, daß deine Schwester seit zehn Jahren bei meinem Onkel lebt.»
«Tut mir leid», sagte Wolfgang und schüttelte den Kopf, als wachte er gerade auf – und vielleicht fühlte er sich tatsächlich so, wenn er die ganze Nacht gefahren war.
«Es überrascht mich, daß Lafcadio sie einfach so aus Wien mitgebracht hat. Er
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