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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht einmal schreien konnte. Sam ließ meinen Arm sofort wieder los.
    «Was hast du?» fragte er.
    «Vierzehn Stiche. Ich bin beinahe unter eine Lawine gekommen», erklärte ich ihm. Es war eines der weniger dramatischen Ereignisse der letzten Woche, das ich in meinem vorangegangenen Bericht ausgelassen hatte. Vorsichtig befühlte ich meinen schmerzenden Arm. Sam sah mich besorgt an. Dann strich er mir kopfschüttelnd über das Haar. «Die Wunde ist fast geheilt. Ich bin okay», sagte ich. «Aber um auf Pandora zurückzukommen: Sie muß sehr viel Vertrauen zu der Person gehabt haben, der sie erlaubte, nach ihrem Tod Dokumente weiterzugeben, die sie ihr Leben lang gesammelt und gehütet hat.»
    «Das habe ich mir auch gesagt, vor allem wegen der seltsamen Umstände», sagte Sam. «Meine Mutter, Bright Cloud, war wenige Monate vor Pandora gestorben. Vater und ich hatten ihren Tod noch nicht verwunden, und ich hatte noch nie eine weite Reise gemacht, schon gar nicht bis nach Europa. Deshalb hat Vater darum gebeten, man möge ihm alle Papiere, die er für das Vermächtnis unterschreiben müßte, per Post schicken. Doch es hieß, das sei nicht möglich. Nach den Bedingungen in Pandoras Testament müsse er sein Erbe persönlich vom Testamentsvollstrecker in Empfang nehmen. Also fuhren Vater und ich nach Wien.»
    «Dann hat der Testamentsvollstrecker doch eine wichtige Rolle gespielt», sagte ich. «Wer war es?»
    «Es war der Mann, von dem wir erst jetzt erfahren haben, daß er Lafs Geigenlehrer war», antwortete Sam, «Pandoras Cousin Dacian Bassarides, den sie und die Kinder am Karussell im Prater getroffen haben und der mit ihnen in der Hofburg die Waffen besichtigte. Als ich damals mit meinem Vater wegen des Testaments nach Wien fuhr, war ich erst vier Jahre alt, und Dacian Bassarides war über Siebzig, aber ich werde nie sein Gesicht vergessen – ein schönes Gesicht, wild, romantisch, so wie Laf die junge Pandora beschrieben hat.
    Interessant ist auch, daß Laf die Geschichte auf dem Karussell erwähnt hat, wo Wolf den Kindern seinen Namen erklärte. Earn bedeutet auf althochdeutsch ‹Adler›, und Daci bedeutet ‹Wolf›. Solche Worte scheinen wichtig zu sein. Eine ganze Reihe der Manuskripte, die ich übersetzt habe, handeln von der Familie des römischen Kaisers Augustus. Ich würde zu gern wissen, wer deinem Vater diesen Namen gegeben hat. Und du weißt bestimmt auch, was Pandoras Familienname ‹Bassarides› auf griechisch bedeutet.»
    Ich schüttelte den Kopf.
    «Fuchsfelle», sagte Sam. «Aber das griechische Wort stammt aus der libyschen Berbersprache. Dort hieß bassara ‹Füchsin›. Und so hat Laf Pandora beschrieben – als eine wilde Füchsin. Ganz schön ironisch, nicht wahr?»
    «‹Fangt uns die Füchse, die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben; denn unsere Weinberge haben Blüten bekommen›», zitierte ich aus dem Hohenlied Salomos.
    Sam blickte erstaunt auf, und dann erschien sein anerkennendes Lächeln, das mich schon als Kind so entzückte und mir nach wie vor das Gefühl gab, ich hätte gerade etwas ganz Tolles vollbracht.
    «Du hast also meine Nachricht verstanden!» sagte er. «Ich wußte, du könntest es, aber ich dachte nicht, daß du dir so schnell einen Reim darauf machen würdest.»
    «Das habe ich auch nicht», sagte ich. Meine Gedanken rasten noch immer. «Ich habe nur aus dem Hohenlied herausgelesen, was ich brauchte, um unseren heutigen Treffpunkt zu finden, aber nicht, was du mich außerdem noch wissen lassen wolltest.»
    «Aber das ist es doch, Ariel! Verstehst du nicht?» sagte Sam. «Das ist die Ironie. Die kleine schlaue Füchsin Pandora hat den Wein verdorben – seit mindestens fünfundzwanzig Jahren –, indem sie diese Manuskripte so erfolgreich getrennt hielt.»
    Wenn jemand so verzweifelt versucht, diese Manuskripte zu bekommen, daß unser Leben dadurch gefährdet ist, müssen wir zuerst herausfinden, was die vier einzelnen Teile sind, vor allem, warum Pandora diese Manuskripte gesammelt hat. Ich muß die Person sprechen, die uns als einzige diese Frage beantworten kann: Pandoras Cousin und Testamentsvollstrecker Dacian Bassarides.
    «Wieso glaubst du, daß Dacian Bassarides noch lebt?» fragte ich. «Er war ungefähr so alt wie Pandora und liegt jetzt wahrscheinlich auf einem Wiener Friedhof. Und wie willst du ihn finden? Du hast ihn vor fünfundzwanzig Jahren zuletzt gesehen. Ich würde sagen, die Spur ist inzwischen ein bißchen kalt.»
    «Keineswegs»,

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