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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Rest.
    «Jetzt laß Professor Hauser das mal genauer anschauen.» Er hob meinen Arm ans Licht und untersuchte sorgfältig die
    Wunde.
    «Das sieht leider gar nicht gut aus. Die Wunde ist zu schnell zugeheilt. Viele Stellen sind schon von Haut überwachsen. Wenn die Fäden jetzt nicht rauskommen, wird es nur noch schlimmer. Es wird ein bißchen weh tun und etwas länger dauern, als ich gedacht habe. Ich muß die Fadenreste sorgfältig entfernen, damit die Wunde nicht wieder aufgeht. Trink einen ordentlichen Schluck Cognac. Und wenn es zu sehr weh tut, beiß auf ein Handtuch.»
    «Vielleicht sollten wir es doch lieber nicht heute abend machen», wandte ich ein.
    Aber Wolfgang schüttelte den Kopf. Er legte meinen Arm vorsichtig ab und goß mir einen mindestens doppelten Cognac ein.
    «Jetzt trinkst du das erst einmal, und dann leg dich auf die Seite, damit ich den richtigen Anstellwinkel habe.»
    Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, aber ich trank den Cognac. Dann streckte ich mich seitlich auf dem mit Handtüchern drapierten Sofa aus und ließ mich von Wolfgang mit weiteren Handtüchern zudecken. Meinen Arm mit der Wunde legte er vorsichtig obenauf. Ich schloß die Augen. Das Feuer war so warm, daß ich es auf den Augenlidern spürte. Ich versuchte mich zu entspannen.
    Zuerst war der Schmerz fern und kalt, als das Desinfektionsmittel auf meine Haut tropfte; aber er wurde ganz schnell brennend heiß. Als ich das Zupfen der Pinzette am ersten Stich spürte, fragte ich mich, was ein Fisch fühlt, wenn sich ihm der Angelhaken ins Fleisch bohrt. Aber noch gingen weder der Schmerz noch die Angst besonders tief. Ich hatte nur das scheußliche Gefühl, daß irgend etwas ganz und gar nicht stimmte.
    Nach dem ersten Ziehen war es, als kratzte ein Nagel über Glas. Der Schmerz ging mir durch Mark und Bein. Ich versuchte, nicht zurückzuzucken, damit es nicht noch schlimmer wurde, aber das dumpfe, rhythmische Pochen war fast mehr, als ich ertragen konnte. Ich spürte, wie mir hinter den geschlossenen Lidern die Tränen kamen. Mit einem tiefen Atemzug wappnete ich mich für einen neuen Angriff.
    Nach einer Ewigkeit hörte das Zupfen auf. Als ich die Augen öffnete, liefen mir dicke Tränen über die Wangen und tropften auf das mit Handtüchern belegte Sofa. Ich biß die Zähne zusammen; mein Magen war völlig verkrampft. Hätte ich jetzt etwas sagen müssen, ich hätte nur geschluchzt. Also holte ich noch einmal tief Luft und atmete ganz langsam aus.
    «So, den ersten haben wir», sagte Wolfgang. «Den ersten!» stieß ich hervor, während ich mich auf dem
    Ellbogen meines heilen Arms aufrichtete. «Könnten wir nicht einfach meinen Arm mit einem kurzen kräftigen Hieb amputieren? Dann hätten wir es hinter uns.»
    «Ich tu dir wirklich sehr ungern weh, meine Liebe», sagte Wolfgang. «Aber das Zeug muß raus. Es ist höchste Zeit.»
    Er hielt mir den Cognac an die Lippen. Ich trank einen großen Schluck, der mir fast die Luft nahm. Wolfgang wischte mir mit dem Finger eine Träne ab und sah schweigend zu, wie ich noch mehr Cognac in mich hineinschüttete. Dann gab ich ihm das Glas zurück.
    «Weißt du», sagte er, «als Bettina und ich klein waren, sagte meine Mutter immer, wenn sie etwas Unangenehmes tun mußte: ‹Ein Kuß macht alles besser›.»
    Er beugte sich vor und berührte mit den Lippen die Stelle, wo er den ersten Faden gezogen hatte. Ich schloß die Augen, während sich eine angenehme Wärme in meinem Arm ausbreitete.
    «Und? Stimmt es?» fragte er leise. Als ich stumm nickte, sagte er: «Dann müssen die anderen Stellen auch geküßt werden. Also, bringen wirs hinter uns.»
    Ich legte mich wieder hin, bereit für die nächste Schmerzwelle. Jedesmal, wenn er mit der Pinzette einen Faden aus der Haut zog, mußte ich die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien. Dann kündigte das scharfe Schnippen der Schere das letzte schmerzhafte Ziepen an dieser Stelle an. Wolfgang küßte die fadenfreie Stelle, und dann ging es weiter. Ich versuchte mitzuzählen, aber nach fünf oder zehn Minuten war ich überzeugt, wir hätten bereits dreißig oder hundert Fäden gezogen anstatt der verbliebenen dreizehn. Trotzdem – die Küsse schienen auf rätselhafte Weise zu helfen.
    Als die Folter überstanden war, massierte Wolfgang meinen Arm, bis durch die bessere Durchblutung der Schmerz verschwand. Dann wischte er ihn mit einem Desinfektionsmittel ab, das leicht nach frischen Tannennadeln roch. Als er fertig war, setzte ich

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