Neville, Katherine - Der magische Zirkel
befindet. Es hat mich fast zehn Jahre gekostet und den größten Teil meiner Freizeit und meines Einkommens, um Fachleute aufzutreiben, die mir bei der Restaurierung helfen konnten. Außer diesen wenigen Experten und Bettina – die es verrückt findet, was ich hier tue – bist du die einzige, die ich je hierhergebracht habe. Gefällt es dir?»
«Es ist unglaublich!» sagte ich.
Ich stieg aus, um mich umzusehen. Wolfgang begleitete mich auf meiner Runde durch den Hof. Ich hatte mich angesichts der vielen schön gelegenen Burgruinen in Deutschland und Österreich oft gefragt, warum sich niemand die Mühe machte, sie zu restaurieren. Aber nun sah ich an diesem Beispiel, wieviel Mühe und Geld so etwas kosten mußte. Sogar die Steine der Burgmauer waren frisch behauen und von Hand vermörtelt. Und mein Erstaunen wuchs, als Wolfgang die Tür des Schlosses aufsperrte, mich eintreten ließ und das Licht einschaltete.
Wir standen in einem großen runden Turm. Die Decke befand sich mindestens zwanzig Meter über uns mit einem komplizierten kuppelförmigen und wie ein Kaleidoskop angelegten Oberlicht, durch das ich den Nachthimmel sehen konnte. Das Innere des Turms wurde von Lichtern erhellt, die wie Sterne aus Mauernischen leuchteten. Ein Metallgerüst, das wie eine abstrakte Skulptur aussah, reichte vom Boden bis ganz nach oben und stützte verschiedenartig geformte Gebilde, die wie Baumhäuser aussahen und aus der runden Turmmauer herausragten. Jedes «Haus» war von einer gewölbten, in warmen Tönen glänzenden Holzwand umgeben und hatte zur Turmmitte hin ein breites und vom Boden bis in die Decke hineinreichendes Plexiglasfenster, so daß auch von oben Licht einfallen konnte. Es dauerte eine Weile, bis ich sah, daß diese Gemächer durch eine spiralförmige Holztreppe entlang der Außenmauer miteinander verbunden waren. Das Ergebnis war atemberaubend.
«Am Tag ist es ganz hell hier», sagte er. «Du wirst sehen, morgen beim Frühstück sitzen wir hier in der Sonne.»
«Wir bleiben hier über Nacht?» Sein Vorschlag stürzte mich in Verwirrung.
«Ich dachte, du würdest zu müde sein, um heute abend noch nach Wien zu deinem Onkel Lafcadio zu fahren», erklärte er mir. «Und mein Haus hegt ganz in der Nähe des Klosters, zu dem wir morgen wollen.»
«Es ist okay», sagte ich, «wenn es dir keine allzu großen Umstände macht.»
«Es ist alles vorbereitet», versicherte er mir. «Wir werden eine Kleinigkeit in dem Gasthof essen, der zu dem Weinberg hier oben gehört. Man hat dort einen schönen Blick auf den Fluß. Aber vorher möchte ich dir hier noch einiges zeigen – das heißt, wenn du Lust hast.»
«Und ob ich Lust habe», sagte ich. «Ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen.»
Der mit Schieferplatten ausgelegte Boden des Turms hatte einen Durchmesser von ungefähr fünfzehn Metern. In der Mitte stand ein Eßtisch aus dunkler Eiche, umgeben von gepolsterten Stühlen. Dahinter, genau gegenüber dem Eingang, befand sich die Küche, die durch offene Regale mit Gläsern, Geschirr und Gewürzen vom übrigen Raum getrennt war. Entlang der Mauer im Küchenbereich gab es Arbeitsflächen aus dickem Holz und dazwischen einen großen gemauerten Herd mit einem in die Mauer eingelassenen Rauchfang, wie man ihn auf einer Burg erwartete. Die Treppe entlang der Turmmauer führte zur Bibliothek in der ersten Etage.
Dieser Raum, der etwas größer war als die höher gelegenen Gemächer und fächerförmig in den Turm hineinragte, wurde ebenfalls von dem Gerüst getragen und von Balken, die in der Außenmauer verankert waren. Der größte Teil der Mauer wurde hier von einem großen Kamin eingenommen, in dem bereits dicke Scheite und Kleinholz bereitlagen. Wolfgang öffnete den Rauchabzug und entzündete das Feuer mit einem langen Streichholz.
Vor dem Kamin stand ein gemütliches Ledersofa mit vielen Kissen und ein bumerangförmiger niedriger Tisch, auf dem sich dicke Bücher stapelten. Der Boden war mit hellfarbigen orientalischen Teppichen belegt. Richtige Bücherschränke fehlten, aber der hohe Biedermeierschreibtisch war übersät mit Papieren und Schreibzeug, und überall im Zimmer, auf Tischen, Stühlen und sogar auf dem Boden, lagen Bücher herum.
Nach der nächsten geschwungenen Treppenflucht, auf der zweiten Etage, lag der Raum, den Wolfgang mir für heute nacht zugedacht hatte – mit einem großen Bett, Kleiderschrank, Sofa und Bad. Die zwei Räume darüber waren wahlweise Schlaf-, Arbeits- oder Wohnräume,
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