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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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jetzt der einzige Jünger, der die vollständige Einweihung unmittelbar aus den Händen des Meister empfangen hat.
    Schließlich mußt Du ebenso wie ich aus dem Brief von Maria Markus geschlossen haben, daß der Meister wahrscheinlich nicht nur jede Einzelheit jener letzten Mahlzeit, sondern auch die anderen Ereignisse in jener Woche geplant hatte. Vielleicht sollte der ganze Aufwand, mit dem er das Mahl vorbereiten ließ, verschleiern, wie wichtig ihm einige besondere Gegenstände waren – zum Beispiel der Kelch, aus dem er trank und den Maria Markus, wie Du mir berichtet hast, später auf seine Bitte hin Dir anvertraut hat.
    Nach meinem j etzigen Eindruck hat er heimlich dafür gesorgt, daß jeder von uns einen der Gegenstände, die er in den letzten Stunden seines Lebens berührt hat oder die mit ihm in Berührung kamen, an sich nimmt, um ihn bis zu seiner Rückkehr an einem besonderen Ort zu verwahren – zum Beispiel den Rock, den er trug und den Nikodemus an sich nahm, nachdem wir den Leichnam gewaschen hatten; oder die Lanzenspitze, die seine Brust durchbohrte und die ich aus dem Schaft der Lanze des römischen Hauptmanns lösen und aufbewahren sollte, was ich getan habe. Ich glaube, daß diese Gegenstände eine heilige Kraft besitzen – und daß sie vielleicht viel älter sind, als wir uns vorstellen.
    Aber wie Du weißt, wurden mir etliche solche Gegenstände auch von anderen anvertraut, denn Britannien ist einer der wenigen Vorposten, die von römischer Besatzung oder römischem Einfluß verschont blieben – bis jetzt. Und nur aus diesem Grund, Miriam, möchte ich nicht, daß du jetzt mit dem Kelch hierherkommst. Es wäre zu gefährlich. Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, daß ich Dir einige Dinge mitteile, die Du wissen solltest für den Fall, daß mir etwas zustößt.
    Vielleicht erinnerst Du Dich, daß ich vor zwölf Jahren, kurz vor dem Tod des Meisters, von einer Reise zurückkehrte. Ich war damals auf Capri, wo ich den Kaiser Tiberius im Auftrag des Sanhedrin bat, den exilierten Juden die Rückkehr nach Rom zu erlauben. Und wer mich nach Capri begleitete und als mein Fürsprecher auftrat, war kein anderer als der Mann, der eben in Britannien einmarschiert ist: Claudius.
    Darüber hinaus weiß unser neuer Kaiser wahrscheinlich, daß jenes Gespräch auf Capri nicht das letzte war, das ich mit seinem Onkel Tiberius führte. Ich habe Tiberius knapp eine Woche vor seinem Tod noch einmal auf den Paxi-Inseln getroffen. Und wenn Claudius erfahren hat, was wir dort getan haben, müssen wir uns fragen, ob er nicht mehr als ein Motiv für seinen Feldzug gegen Britannien hatte. Er hat drei Legionen hiergelassen, die jetzt Straßen und Dörfer bauen für eine dauerhafte Besetzung Britanniens. In Camulodunum bauen sie mit einheimischen Zwangsarbeitern einen Tempel.
    Kaiser Claudius hat vielleicht nicht gefunden, was er hier suchte. Aber er scheint einen längeren Besuch zu planen.
    ROM

    Frühling, A.D. 56

    Conflagratio

    Mag die Erde verbrennen – wenn nur ich lebe.
    N ERO

    Während die Sklaven die Lockenwickler lösten, legte sich Strähne für Strähne eine blonde Lockenpracht um Neros Haupt und Schultern. Der Kaiser saß nackt vor dem hohen Spiegel und betrachtete sich prüfend mit kalten blauen Augen.
    Ja, es stimmte, was alle behaupteten. Er wurde Phoebus Apollo von Tag zu Tag ähnlicher. Seine Gesichtszüge waren so fein, daß sie beinahe hübsch waren. Er tupfte etwas Rouge auf die Lippen, damit sie noch sinnlicher wirkten. Seit seiner Kindheit war er sowohl Männern als auch Frauen zugetan.
    Nachdem er die Locken ausgeschüttelt hatte – sie reichten ihm fast bis zur Taille –, stand er auf, um sich in seiner ganzen Schönheit im Spiegel zu betrachten. Er hatte einen bemerkenswerten Körper mit kräftigen Muskeln, die er mehrere Jahre lang für die olympischen Ringkämpfe in Griechenland gestählt hatte – wo er tatsächlich erst vor kurzem etliche Siegermedaillen gewonnen hatte. Ach ja, das durfte er nicht vergessen! Er beugte sich vor und schrieb eine Notiz: Freiheit für die Provinz Olympia.
    Man stelle sich vor: Er war noch keine zwanzig Jahre alt und schon Herrscher über eines der größten Reiche der Weltgeschichte – und sicher war er der einzige Kaiser mit der Stimme eines Engels und dem Körper eines Gottes. All dies war ihm in den Schoß gefallen, nur weil seine schöne Mutter Agrippina klug genug war, ihren Onkel Claudius zu heiraten, der dann praktischerweise zufällig an einer

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