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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Jungfrauen, die für ihre Weisheit berühmt waren. Der Abendstern war Aphrodite, die Göttin der Liebe. Nachdem wir wissen, daß Morgen- und Abendstern ein und derselbe Stern sind, wissen wir auch, daß die Menschen in frühester Zeit den Schlüssel zum höchsten Geheimnis kannten: daß Weisheit und Liebe eins sind, und daß uns dieses Wissen erlaubt, uns sogar über den Tod zu erheben.»
    Alle im Raum verharrten in betroffenem Schweigen, während der Meister dem jungen und sehr verwirrt aussehenden Johannes Zebedäus, der neben ihm auf dem Diwan saß, das Haar zauste. Dann bedeutete er meinem Sohn, ihm noch etwas Wein einzuschenken.
    «Meister, vergib mir», sagte Philipp von Bethsaida, «deine Worte scheinen vergangene, gegenwärtige und zukünftige Ereignisse zu berühren, deshalb weiß ich nie so recht, wie ich verstehen soll, was du sagst. Aber wenn du von Liebe sprichst, meinst du bestimmt unsere Liebe zum Göttlichen, die uns, wenn sie richtig verstanden und gepflegt wird, sogar über den Tod erhebt. Und doch muß man zugeben, daß das Lied Salomos wie auch der historische König das Bild einer ganz anderen, sinnlichen, man könnte fast sagen, fleischlichen Liebe vermitteln – ein Bild, das kaum zu dem Bild des kommenden Königreichs zu passen scheint, das du vorhergesagt hast.»
    «In der Tat, Philipp», sagte der Meister. «Und genau dort liegt das Geheimnis.»
    INSEL MONA, BRITANNIEN

    Herbst, A.D. 44

    An: Miriam von Magdali
    zu Lugdunum, Gallien
    Von: Josef von Arimathäa
    auf Mona, Irische See, Britannien

    Liebste Miriam,
    wie Du siehst, hat mich Dein jüngstes Paket erreicht, obwohl es einige Zeit unterwegs war. Wegen der Eroberung des südlichen Britanniens durch Kaiser Claudius habe ich die Basis für unsere Tätigkeit hierher nach Norden verlegt, in eine Druidenfestung, wo wir viel Unterstützung erhalten haben. Obwohl wir nie um Leib und Leben fürchten mußten – die Landung der Römer war eine unblutige Sache ohne Kämpfe, Verwundete oder Tote; die Römer kamen und gingen nach wenigen Monaten wieder und ließen nur ein paar Legionen zurück, um mit dem Ausbau zu beginnen –, fürchtete ich dennoch um die Sicherheit der Dinge, die ich besitze und die, wie Du weißt, von einigem Wert sind. Und damit sind wir schon beim Thema Deines Briefes.
    Zunächst zu Deinem Angebot: So gern ich Dich wiedersehen würde, halte ich es nicht für ratsam, wenn Du jetzt von Gallien hierher reisen würdest. Ich werde im einzelnen noch darauf eingehen, aber vorher muß ich Dir danken für die neuen aufschlußreichen Dokumente, die Du mir übermittelt hast.
    Nachdem unsere anfängliche Schar von den Römern und ihren Marionetten stark geschwächt wurde – ich denke an die grausame Hinrichtung von Jakob Zebedäus im letzten Frühjahr durch Herodes Agrippa oder an Simon Petrus, der ins Gefängnis kam und anschließend freiwillig in den Norden ins Exil ging –, bin ich mehr und mehr zu der Überzeugung gelangt, wie ungeheuer wichtig es für uns ist, ein vollständigeres Bild von dem zu bekommen, was der Meister in jener verhängnisvollen letzten Woche seines Lebens erreichen wollte.
    Ferner hat der Meister – wenn man alle seine Warnungen vor falschen Propheten bedenkt – anscheinend wirklich jemand wie diesen Saul von Tarsus vorausgesehen, von dem Johannes Markus in seinem Brief spricht – jemand, der nach seinem Tod auftreten und versuchen könnte, die ganze Botschaft Jesu auf solche Weise zu ändern. Folglich habe ich versucht, diesen neuen Bericht, den Du mir über das letzte Mahl des Meisters mit seinen Jüngern geschickt hast, mit dem zu verbinden, was ich zusammengetragen habe. Und ich stimme Dir zu, daß wir jetzt die Richtung seiner Botschaft viel klarer erkennen können.
    Erstens: Der Meister hat sich als der Diener Gottes präsentiert, dessen Hauptaufgabe es ist, auf rituelle Weise den Tempel und alle, die ihn betreten wollen, zu reinigen – also Unterwerfung. Zweitens: Er vergleicht sein Fleisch und Blut mit Brot und Wein – eine Isaac-Geste, so als opferte er sich selbst sowohl körperlich als auch geistig, anstatt ein rituelles Opfer zu bringen, wie es bei solchen Gelegenheiten üblich ist – also Selbstaufopferung.
    Wäre er nur nicht so bald festgenommen worden – damals in meinem Garten –, dann hätte er die Einführung des jungen Johannes Zebedäus so vollenden können, wie er es beabsichtigt hatte. Ich kann übrigens verstehen, warum Johannes heute auf Dich ärgerlich ist, denn Du bist

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