Neville, Katherine - Der magische Zirkel
aufgehalten hatte, ohne sie so zu sehen wie ihre Bewohner oder auch nur wie normale Touristen. Weil Jersey und Laf überall den Status von Weltklassestars genossen, war ihr Leben, wenn sie auf Tournee waren, geprägt von chauffierten Limousinen und Champagnerbuffets.
Auch mein Vater hatte sich bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er mich ins Ausland mitnahm, in Hotels verschanzt, um ein Privatleben zu führen, das nur mit Geld zu kaufen war – genau wie in jener Woche in San Francisco. Auf diese Weise hatte ich zwar die glitzernden, von Geschichte, Geheimnis und Magie durchwirkten Fassaden vieler Orte auf diesem Planeten gesehen, aber kaum etwas von dem Schmutz und dem Elend und den Unannehmlichkeiten, die mir höchstwahrscheinlich ein realistischeres Bild vermittelt hätten.
Wolfgang und ich wurden am Flughafen von einer uniformierten jungen Frau von Intourist – angeblich die Abteilung für Gastfreundlichkeit des KGB – abgeholt und zum Hotel gebracht.
Unterwegs deutete Wolfgang an, daß es die Sowjetregierung nicht billigte, wenn unverheiratete männliche und weibliche Kollegen in ihrem Hoheitsgebiet das praktizierten, was er und ich auf seiner Burg eine Nacht lang nahezu perfektioniert hatten. Ich verstand, was damit gemeint war – aber wie es gemeint war, erfuhr ich erst etwas später.
Das kasernenähnliche «Hotel», in dem uns unsere Gastgeber, die sowjetische Atombehörde, freundlicherweise für die Dauer unseres Aufenthalts untergebracht hatte, verströmte den Charme unserer Bundesstrafanstalten. Es gab viele Stockwerke, die alle gleich aussahen – lange, mit grauem Linoleum ausgelegte Korridore mit Neonbeleuchtung, deren summende und flackernde Röhren vermutlich seit ihrer Installation nicht ausgewechselt worden waren.
Nach einer kurzen Information über den geplanten Ablauf des folgenden Tages wurden Wolfgang und ich getrennt, und ich wurde von einer stämmigen Uniformierten in einen separaten Flügel geführt. In meinem Zimmer erklärte sie mir in gebrochenem Englisch, daß sie die ganze Nacht unten wachen würde. Dann zeigte sie mir dreimal, wie ich meine Tür verschließen sollte, und wartete draußen, bis sie hörte, daß ich ihren Anweisungen folgte.
Erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig ich war. Außer den Croissants und der Schokolade zum Frühstück hatte ich heute noch nichts gegessen. Ich wühlte in meiner Reisetasche, fand em paar Müsliriegel und eine Flasche Wasser, die meinen ausgehungerten Magen beruhigten, und dann zog ich mich in dem feuchten, ungeheizten und ungemütlichen Quartier aus, packte noch einige Sachen aus und kroch ins Bett. Ein leises Klopfen an der Tür weckte mich. Ich warf einen Blick auf meinen Wecker auf der Kommode des spärlich möblierten Zimmers. Ich hatte ihn noch nicht umgestellt, also bedeutete halb elf Wiener Zeit, daß es in Leningrad nach Mitternacht war. Wolfgang hatte mir unmißverständlich klargemacht, daß heimliche nächtliche Besuche in liebender Absicht nach sowjetischer Etikette streng verboten waren. Wer also könnte mitten in der Nacht bei mir klopfen?
Ich schlüpfte in den Bademantel und ging zur Tür, um aufzuschließen.
Die Uniformierte stand draußen und wirkte merkwürdig verlegen. Sie blickte nach rechts und links, und dann warf sie mir mit geschürzten Lippen einen Blick zu, der vermutlich ein Lächeln war.
«Bitte», sagte sie mit ihrem russischen Akzent leise und beinahe vertraulich. «Jemand will Sie sprechen.» Sie wies mit der Hand den Gang entlang, als erwartete sie tatsächlich, daß ich meinen relativ sicheren Eisschrank von einem Zimmer verlassen und ihr mitten in der Nacht zu einem Rendezvous mit einem Unbekannten folgen würde.
«Welcher ‹Jemand›?» Ich zog den Kragen meines Bademantels enger unter dem Kinn zusammen, während ich, den Türknauf fest in der Hand, einen Schritt zurückwich.
«Es ist sehr dringend», flüsterte sie, während sie sich nervös umsah. «Er muß jetzt mit Ihnen sprechen. Sofort. Bitte, kommen Sie mit. Er ist unten an der Treppe.»
«Ich gehe nirgends hin, wenn Sie mir nicht sagen, wer mich sprechen will», erklärte ich ihr und schüttelte heftig den Kopf, um meinen Standpunkt zu unterstreichen. «Weiß Professor Hauser etwas davon?»
«Nein! Er darf nichts wissen!» stieß sie in einem Ton hervor, der in jeder Sprache nur als Angst interpretiert werden konnte.
Was in drei Teufels Namen ging hier vor?
Jetzt kramte sie in ihrer Jackentasche und brachte eine Karte hervor, die sie mir
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