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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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römische Zivilisation, genährt von der Muttermilch einer Wölfin, würde nicht durch einen alten, kinderlosen, einsiedlerischen Herrscher, der seine letzten Tage im Exil auf einer nach einer Ziege benannten Insel verlebte, zu Fall gebracht werden. Nein, es mußte eine Lüge sein, eine List, die sich einer seiner zivilen Feinde ausgedacht hatte – jemand, der ihn an den Rand bitterster Verzweiflung zu treiben hoffte, indem er einer Lüge ins Leben verhalf – und nicht einem neuen Zeitalter. Sogar der Name des Steuermanns schmeckte nach Mythos, denn Tammuz war der Name des ältesten Gottes, der starb – älter als Orpheus, Adonis oder Osiris.
    Der Kaiser hob den Blick, befahl der Wache, dem Steuermann etwas Silber zu geben, und wandte sich ab zum Zeichen, daß die Audienz beendet war. Aber während Tammuz das Geld ausgehändigt wurde, wandte sich Tiberius noch einmal an ihn.
    «Steuermann, nachdem so viele Reisende auf deinem Schiff waren, muß es doch noch andere Zeugen geben, die diese seltsame Geschichte bestätigen können.»
    «Gewiß, Herr», antwortete Tammuz. «Viele können bezeugen, was ich gehört und getan habe.» Tiberius war, als hätte er ein merkwürdiges Licht in den unergründlichen schwarzen Augen gesehen. «Trotz allem, was wir zu wissen glauben», fuhr Tammuz fort, «gibt es nur einen Zeugen, der uns sagen kann, ob dieser Große Pan ein Sterblicher war oder ein Gott, ob er lebt oder tot ist. Aber dieser einzige Zeuge ist nur eine Stimme – eine Stimme, die über das Wasser ruft…»
    Tiberius befahl ihm mit einer ungeduldigen Geste zu gehen und begab sich zu der abgeschieden gelegenen Mauerbrüstung – seinem Gefängnis. Aber während er zusah, wie der Steuermann zum Hafen hinuntergeführt wurde, rief er seinen Sklaven und übergab ihm eine Goldmünze, die er dem Ägypter bringen sollte. Der Sklave eilte den Pfad zum Hafen hinunter und gab dem Steuermann die Münze, der den Blick zur Terrasse hob, wo der Kaiser stand.
    Tiberius wandte sich ab und ging in seine leere Wohnung im Palast. Dort goß er duftendes Öl in die Amphore auf dem Altar und entzündete es zu Ehren der Götter.
    Er mußte diese Stimme finden – die Stimme, die in der Wildnis rief. Er mußte sie finden, bevor er starb – oder Rom würde untergehen.

    Nur ich bin entkommen, um dir zu berichten… Verdunkelte Gedanken
    Wie das Wasser vom Wind…

    Es gibt immer
    Jemand, der durch Zufall etwas sieht,
    Dem das Unglück widerfährt,
    In den Augenblick hineinzustolpern,
    Unvorbereitet, ahnungslos,
    Nichts denkend… und es geschieht,
    Und er sieht es…
    Gefangen im ausweglosen Netz,
    gesehen, miterlebt zu haben…

    Ich war es.
    Ich und nur ich allein.
    Der Augenblick hat uns zusammengesperrt
    In sein gähnendes,
    gräßlich skeptisches Grinsen.

    Nur ich. Ich allein, um dir zu berichten…
    Ich, der ich nichts verstanden,
    nichts gewußt habe, dem nichts gesagt worden ist.
    A RCHIBALD M AC L EISH , J.B.
    Gott gewinnt immer.

    A RCHIBALD M AC L EISH , J.B.
    SNAKE RIVER, IDAHO

    Vorfrühling 1989

    Es schneite. Es hatte seit Tagen geschneit und schien nicht mehr aufhören zu wollen.
    Ich fuhr durch das dichte Schneegestöber, das schon einige Zeit vor Morgengrauen eingesetzt hatte. Um Mitternacht hatte ich in Jackpot, Nevada, angehalten, dem einzigen rosigen Neonschimmer am Himmel auf mindestens hundert Meilen gebirgiger Wildnis, durch die mich meine lange Fahrt von Kalifornien nach Idaho und zurück zu meinem Job in der Nuklearanlage führte. In Jackpot setzte ich mich an einen Tresen, während im Hintergrund die Spielautomaten rasselten, aß ein fast rohes Grillsteak mit Pommes und trank einen Scotch, den ich mit heißem schwarzem Kaffee hinunterspülte. Damit hatte ich das von meinem Onkel Earnest für diese Art von Streß und Herzschmerz empfohlene Allheilmittel geschluckt und kehrte zurück in Nacht und Kälte, um mich wieder hinter das Steuer zu klemmen.
    Wenn ich in den Sierras keinen Zwischenstopp eingelegt hätte, weil dort der erste frische Schnee fiel und ich plötzlich das Gefühl hatte, meine wunde Seele bräuchte einen Tag auf Skiern, hätte ich mir diese Schlitterei auf eisglatter Straße in der Mitte von Nirgendwo erspart. Aber wenigstens war dies ein Nirgendwo, das ich gut kannte – jede Straßenunebenheit auf dieser Strecke zwischen den Rocky Mountains und der Küste war mir vertraut. Ich war sie oft genug gefahren, wenn ich dienstlich unterwegs war – Ariel Behn, Sicherheitsexpertin für Nuklearanlagen. Nur

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