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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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auf diese letzte Tour hätte ich gern verzichtet.

Bei dieser monotonen Fahrerei auf dem verschneiten Highway wurde mein Körper unwillkürlich zum Autopiloten, und meine Gedanken gerieten in den Sog einer dunklen Strömung, die mich an einen Ort zurückversetzte, wo ich nicht sein wollte. Die Meilen tickten dahin, der Schnee wirbelte, die Spikes knirschten auf der vereisten Straße, die wie ein schwarzes Band unter mir durchlief.
    Ich wurde das Bild von dem grünen, von Sonne und Schatten gesprenkelten Hang dort unten in Kalifornien nicht los, das ruhige geometrische Muster der Grabsteine, das sich darüber hinzog: dünne Schichten aus Stein und Gras, die das Leben vom Tode trennten, die mich von Sam trennten – für immer.
    Der Rasen war neongrün – ein wundervoll schimmerndes Grün, das es nur in San Francisco und nur um diese Jahreszeit gibt. Über diesem leuchtenden Rasen erstreckten sich in welligen Reihen die kalkweißen Grabsteine über den Hügel. Zwischen den Gräbern standen hohe dunkle Eukalyptusbäume mit silbrigen Blättern, von denen das Wasser tropfte. Ich blickte durch die getönten Scheiben der Limousine, als wir von der Straße in den Presidio -Friedhof einbogen.
    Ich war diese Straße oft gefahren, als ich in der Bay Area lebte. Es war die einzige Route von der Golden Gate Bridge zur San Francisco Marina, und sie führte unmittelbar am Soldatenfriedhof vorbei, in den wir jetzt fuhren. Heute, aus der Nähe und praktisch in Zeitlupe gesehen, war a lles wunderschön, geradezu berauschend für das Auge.
    «Sam hätte es hier gefallen», sagte ich laut. Es waren die ersten Worte, die ich auf der Fahrt zum Friedhof sagte.
    Jersey, die neben mir im Wagen saß, reagierte barsch: «Nun, schließlich ist er jetzt ja hier, nicht wahr? Oder wozu wird der ganze Rummel veranstaltet?»
    Ich roch ihren Atem.
    «Mutter, wieviel hast du heute schon getrunken?» sagte ich. «Du riechst wie eine Destille.»
    «Cutty Sark, bitte schön», sagte sie lächelnd. «Zu Ehren der Navy.»
    «Verdammt noch mal, Mutter, das ist eine Beerdigung», sagte ich wütend.
    «Ich bin Irin», erklärte sie. «Bei uns hält man Totenwache und bringt die Leute fröhlich auf den Weg. Für meine Begriffe ein wesentlich zivili… sierterer Brauch.»
    Sie hatte bereits Probleme mit mehrsilbigen Worten. Ich krümmte mich innerlich und hoffte nur, sie würde bei der Grabrede nicht dazwischenreden. Ich hielt sie zu allem fähig – besonders in diesem Stadium, bevor sie völlig betrunken war. Und Augustus und Grace – mein sehr förmlicher Vater und meine Stiefmutter, die an allem etwas auszusetzen hatte – fuhren im Wagen hinter uns.
    Die Limousinen passierten das schmiedeeiserne Tor des Friedhofs und die Leichenhalle. Der Gottesdienst sollte im Freien stattfinden, und der Sarg war bereits geschlossen – «aus Gründen der nationalen Sicherheit», wie man uns gesagt hatte. Außerdem war uns – etwas diskreter -mitgeteilt worden, daß Sam wahrscheinlich kaum zu erkennen gewesen wäre: Familien von Bombenopfern würden es gewöhnlich vorziehen, auf diesen Anblick zu verzichten.
    Wir fuhren die Lincoln Avenue entlang und hielten unter dichten Eukalyptusbäumen am anderen Ende des Friedhofs, wo bereits mehrere Wagen parkten – alle mit den weißen Nummernschildern der US-Regierung. Auf einer kleinen Anhöhe standen n eben einem frisch ausgehobenen Grab mehrere Männer, darunter ein Feldgeistlicher und einer mit einem dicken langen Zopf, der wie der Schamane aussah, um den ich gebeten hatte. Sam hätte auch das gefallen.
    Unsere drei Limousinen parkten vor den Regierungsautos: Jersey und ich im Familienauto, Augustus und Grace hinter uns, und Sam im Wagen vor uns – in einem bleigefütterten Sarg. Wir stiegen aus und gingen den Hügel hinauf, während der Sarg ausgeladen wurde. Augustus und Grace stellten sich still etwas abseits, was ich zu schätzen wußte. Auf diese Weise wurde Jerseys Fahne nicht zum Problem.
    Ein Mann in Trenchcoat und dunkler Brille löste sich aus der Schar der Regierungsbeamten und ging auf die anderen zwei Familienmitglieder zu, um ein paar Worte mit ihnen zu wechseln. Dann kam er zu Jersey und mir.
    Plötzlich merkte ich, daß wir nicht für eine Beerdigung angezogen waren. Ich trug das einzige schwarze Kleid, das ich besaß; aber es war mit großen lila und gelben Blumen gemustert. Und Jersey trug ein schickes französisches Kostüm in Eisblau, einem Farbton, der zu ihren Augen paßte und ihr Markenzeichen war,

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