Neville, Katherine - Der magische Zirkel
Blumenarrangements dekoriert, die Grace für ihre Umgebung zu brauchen schien. Augustus öffnete auf mein Klopfen und musterte mich von oben bis unten. Mein Vater wirkte stets elegant mit seinem silbergrauen Haar und der gebräunten Haut. Heute, in schwarzem Kaschmirblazer und grauen Hosen, wirkte er ganz wie ein Feudalherr – eine Rolle, für die er sein Leben lang geprobt hatte.
«Du kommst spät», sagte er mit einem Blick auf seine goldene Armbanduhr. «Du solltest um halb sieben hier sein, damit wir uns vor dem Essen noch unter vier Augen unterhalten könnten.»
«Der heutige Vormittag war für mich Familientreffen genug», erklärte ich und bedauerte sofort, auf die früheren Ereignisse des Tages angespielt zu haben.
«Und ich möchte auch über deine Mutter mit dir sprechen», sagte Augustus. «Aber zunächst – was kann ich dir zu trinken anbieten?»
«Ich habe mit Jersey zu Mittag gegessen», sagte ich. «Ich glaube, ich brauche nichts, was stärker ist als Wasser.»
Augustus sorgte auch stets für eine gut sortierte Bar, obwohl er selbst kaum trank. Vielleicht war es das, was in der Ehe zwischen ihm und meiner Mutter nicht gestimmt hatte.
«Dann gebe ich dir am besten einen leichten Weiß wein mit Soda», sagte er. Er spritzte die Soda aus einer von einem Netz umhüllten Flasche und reichte mir das Glas.
«Wo ist Grace?» fragte ich, während er sich einen dünnen Scotch mixte.
«Sie hat sich hingelegt. Nach der Vorstellung, die deine Mutter heute morgen gegeben hat, war sie ziemlich erschüttert – verständlicherweise.» Augustus sprach von Jersey stets als «deine Mutter», als ob ich für ihre Existenz verantwortlich wäre und nicht sie für meine.
«Ich finde, sie hat einer morbiden Angelegenheit die nötige heitere Note gegeben. Da spielt eine Blaskapelle, es wird Salut geschossen, eine Medaille wird überreicht – und das, weil jemand im Dienst der Regierung in tausend Stücke zerfetzt wurde!»
«Versuch nicht, das Thema zu wechseln, junge Dame», wies mich m ein Vater im autoritärsten Tonfall zurecht. «Das Benehmen deiner Mutter war absolut unmöglich. Degoutant. Zum Glück waren keine Reporter zugelassen.»
Augustus benutzte nie Worte wie «schrecklich» oder «entwürdigend» – das war ihm zu subjektiv, zu gefühlsträchtig. Er wollte objektiv sein, distanziert. Für ihn zählten Erscheinung und Reputation.
In dieser Hinsicht war ich ihm ähnlicher, als ich zugeben wollte. Trotzdem fand ich es unerträglich, daß ihn das Benehmen meiner Mutter bei einem gesellschaftlichen Anlaß mehr interessierte als der schreckliche Tod von Sam.
«Ich frage mich, ob die Menschen schreien, wenn sie auf solche Art und Weise sterben», sagte ich.
Augustus drehte sich um und ging zur Schlafzimmertür. «Ich muß Grace wecken», sagte er über die Schulter, «damit
sie sich zum Essen fertig machen kann.»
Grace betupfte ihre verweinten Augen und strich sich mit dem Handrücken eine blondierte Strähne aus der Stirn. «Ich verstehe nicht, wie wir hier in einem Restaurant sitzen und essen können und uns gleichzeitig wie menschliche Wesen benehmen wollen.»
Bis zu diesem Augenblick war mir nie in den Sinn gekommen, jemand wie Grace könnte bewußt versuchen, sich wie ein Mensch zu benehmen. So konnte man sich irren.
«Er war so jung», sagte Grace zwischen kleinen Schluchzern und einem Happen Steak tartare. Und ihr Brillantarmband zurechtrückend fügte sie die verräterischen Worte hinzu: «Nicht wahr?»
Tatsache war, daß Grace Sam nie kennengelernt hatte. Meine Eltern hatten sich vor fast fünfundzwanzig Jahren scheiden lassen, und Grace und Augustus waren seit rund fünfzehn Jahren verheiratet. Seitdem war viel Wasser ins Meer geflossen, dazu gehörte auch, wie Sam mein Bruder geworden war, ohne der Sohn meiner Mutter oder meines Vaters zu sein. Meine Familienbeziehungen sind etwas kompliziert.
Aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Grace war zu ihrem Lieblingsthema übergegangen, und das hieß Geld. Ihre Tränen versiegten auf wunderbare Weise, und ihre Augen hatten wieder ihren alten strahlenden Glanz.
«Wir haben heute nachmittag die Anwälte angerufen», erzählte sie plötzlich erstaunlich lebhaft. «Die Testamentseröffnung ist morgen, wie du weißt – und ich denke, ich sollte dir sagen, daß wir ein paar gute Neuigkeiten für dich haben. Natürlich wollte man uns keine Einzelheiten verraten, aber es scheint, daß du die Haupterbin bist.»
«Prima», sagte ich.
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