Neville, Katherine - Der magische Zirkel
entdeckt hatte…»
Das Schwert und die Lanze
Wolf hatte in der Hofburg zwei Altertümer entdeckt, die ihn faszinierten: ein Schwert und eine Lanze. Diese Gegenstände, die er für sehr alt und wertvoll hielt, waren merkwürdigerweise in einer schlichten Glasvitrine in einer etwas abgelegenen Ecke untergebracht. Das Schwert war lang und krumm; es hatte keine Scheide, und der Griff schien eher aus dem Mittelalter zu stammen als aus der Antike. Die Lanze war klein, schwarz und unauffällig mit einer primitiven messingfarbenen Zwinge, die Stoßklinge und Schaft zusammenhielt. Wir standen eine Weile davor, bis Earnest wissen wollte, was diese Waffen bedeuteten. «Diese Stücke sind sehr alt», sagte Wolf mit fast träumerischer Stimme, «mindestens zweitausend Jahre, und vielleicht noch älter. Man weiß, daß sie bereits zur Zeit Christi existierten, und sehr wahrscheinlich gehörten sie seinen Jüngern. Mit diesem Schwert soll der heilige Petrus im Garten Gethsemane dem einen Tempelwächter das Ohr abgehauen haben. Jesus befahl ihm, das Schwert einzustecken, denn ‹wer das Schwert nimmt, der soll durch das Schwert umkommen). Aber die Lanze ist sogar noch interessanter», fuhr Wolf fort. «Ein römischer Soldat, ein gewisser Gaius Cassius Longinus, der dem Pontius Pilatus unterstand, hat mit dieser Lanze Jesus am Kreuz die Seite geöffnet, um sicher zu sein, daß er tot war,
und dann floß Blut und Wasser aus der Wunde…» Ich konnte das lange, blasse Gesicht von Wolf im Spiegel der
Glasscheibe sehen. Er wirkte immer noch traumverloren. Seine erweiterten Pupillen verstärkten das Hypnotisierende dieser leuchtendblauen Augen unter den dunklen Wimpern. Aber Pandora, die auf der anderen Seite der Vitrine stand, brach den Zauber.
«Auf dem Schild hier steht», sagte sie, «daß dieses Schwert vermutlich dem Hunnenkönig Attila gehörte und die Lanze dem Kaiser Friedrich Barbarossa und daß Schwert und Lanze eine eigene Legende haben: Jedesmal, wenn diese beiden Waffen in die Hand eines einzigen Kriegers gelangten – wie anscheinend im Fall von Karl dem Großen –, ist dieser Krieger der Führer der gesamten zivilisierten Welt geworden.»
«Herrschen die Habsburger deshalb über so viele Länder?» fragte ich. Ich fand es aufregend, die Geheimnisse einer alten Legende zu entdecken. «Denn es sind ja beide Waffen in ihrem Besitz, nicht wahr?»
Wolf, der aus seiner Trance erwacht war, antwortete anstelle von Pandora. «Es heißt, ein Krieger muß sie besitzen», sagte er gereizt. «Diese Habsburger sind nichts anderes, als was ihr Name besagt: ein Habichtsnest – aber sie sind keine Habichte. Wo sie sich niederlassen, da bleiben sie hocken und polstern ihr Nest. Das sind keine Jäger oder gar Führer eines stolzen tapferen Volkes. Und ich habe gelernt, daß es für diese Art von Macht, von der ihr sprecht, nicht genügt, nur zwei von diesen Gegenständen zu besitzen. Es gibt viele solcher Relikte aus der Vergangenheit, auf denen der Staub von Äonen liegt, und nur wenn alle in einer Hand versammelt sind, wird sich die Welt verändern lassen. Ich glaube, daß eine solche Zeit sehr nah ist.»
Wir Kinder blickten mit großem Respekt auf die zwei Waffen in der Glasvitrine, aber insgeheim fragte ich mich, wie eine so gründliche Veränderung bewirkt werden könnte, wenn die anderen «alten Schätze» ebenso hinfällig und zerbrechlich waren wie diese beiden.
«Wenn eine solche Zeit nah ist», sagte eine leise Stimme hinter mir, «dann kennst du doch sicher auch die anderen Objekte, nach denen du suchst, oder nicht?»
Als ich mich umdrehte, sah ich, daß es Pandoras Cousin, mein Geigenlehrer Dacian Bassarides, war, der dies gesagt hatte. Er war die ganze Zeit so still gewesen, daß wir ihn fast vergessen hatten. Wolf nickte aufgeregt.
«Ich glaube, daß es insgesamt dreizehn sind», erklärte er uns. «Es sind Eßgefäße, Kleidungsstücke, Werkzeuge oder Kriegsgerät, ein Edelstein und ein Brettspiel. Bei meinen Studien habe ich Hinweise gefunden, wie jedes dieser Objekte über Jahrhunderte verborgen geblieben sein könnte. Zum letzten Mal – da bin ich mir absolut sicher – waren sie zur Zeit Christi vereint, mit anderen Worten: im letzten neuen Zeitalter. Deshalb habe ich meine Nachforschungen in Melk und dann in Salzburg fortgesetzt, denn hier am Fluß und oben in den Bergen des Salzkammerguts sind die Orte in unserem Land, wo die alten Völker gehaust haben. Ich wußte, daß ich die Botschaft, die ich
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