New York - Love Story
hin? Dort drüben
sind die Schalter für US Citizens reserviert, also reihe ich mich
auf der anderen Seite, bei den Non-US Citizens, ein. Erwartungsgemäß
geht es hier noch langsamer voran. Während
sich die Wartenden millimeterweise vorwärtsschieben, fallen
mir immer wieder die Augen zu.
Kurz überlege ich, ob ich Mom eine SMS schicken soll, dass
ich angekommen bin, entscheide mich dann aber dagegen.
Soll sie sich ruhig noch etwas länger Sorgen machen. Meine
Mutter leidet nämlich unter panischer Flugangst, die sie auch
auf mich überträgt. Normalerweise würde ich ihr also sofort
Bescheid geben, dass wir gut gelandet sind. Aber verglichen
mit dem Klima, das in der vergangenen Woche bei uns zu
Hause geherrscht hat, könnte man die Minusgrade hier im
Flughafen als tropisch bezeichnen. So weit wie möglich bin
ich Mom aus dem Weg gegangen und unsere wenigen Wortwechsel
beschränkten sich aufs Allernötigste. Kurz vor dem
Abflug hat Mom noch mal versucht, mit mir zu reden, aber
ich habe sie wieder einfach stehen lassen und bin durch die
Sicherheitskontrolle verschwunden. Da konnte sie mir nicht
mehr folgen.
»Your passport, ma'am?« Ein junger Schwarzer – Afroamerikaner
heißt das politisch korrekt – in der dunkelblauen
Uniform der amerikanischen Zoll- und Grenzschutzbehörde
schaut mich mit ausdruckslosem Gesicht an. Ich strecke ihm
die Kopie der Einreisegenehmigung und meinen Reisepass entgegen, den er eingehend prüft, bevor er einen Stempel
hineindrückt und ihn mir schließlich zurückgibt. Ich werde
fotografiert und nach dem Zweck und der Dauer meines
Aufenthalts gefragt – mit flatterndem Herzen behaupte ich,
Touristin zu sein, denn ein Arbeitsvisum habe ich auf die
Schnelle nicht mehr bekommen.
Dann muss ich noch meine Finger auf eine Art Scanner
legen. Ich starre auf meine kurz geschnittenen Nägel und
hoffe, dass der Grenzbeamte nicht bemerkt, dass unter dem
rechten Daumennagel etwas schwarze Kohle hängt, weil ich
mir die Zeit im Flieger mit meinem Skizzenblock und dem
Kohlestift vertrieben habe.
»Welcome to the United States«, erklärt der Uniformierte
jedoch nur mit immer noch unbewegter Miene und wendet
sich dem nächsten Wartenden zu.
Willkommen in Amerika! Da bin ich also. Und jetzt?
Als ich eine halbe Stunde später endlich meinen zentnerschweren
Koffer vom Gepäckband gehievt habe und, das
knallrote Monstrum hinter mir herziehend, die automatischen
Türen zur Ankunftshalle durchschreite, ist die bleierne
Müdigkeit einer kribbeligen Aufregung gewichen. Mir wird
ganz flau im Magen, wenn ich versuche, mir vorzustellen, was
mich hier in New York erwartet.
In der Woche, die seit dem Frühstücksdesaster mit meiner
Mutter und Pedro vergangen ist, hatte ich viel zu viel mit den
praktischen Reisevorbereitungen zu tun, um mir Gedanken
über die kommenden sechs Wochen zu machen: biometrische Fotos schießen lassen (scheußlich!), einen Expressreisepass
beantragen und abholen (sauteuer, zum Glück hat Mom
bezahlt!), die elektronische Einreisegenehmigung ausfüllen
und natürlich Reiseführer und Reisekosmetikkram besorgen,
Koffer packen etcetera, etcetera … Ehrlich: Der Stress vor
einer Englischgrammatikarbeit ist nichts dagegen!
Aber jetzt trennen mich nur noch wenige Schritte von meiner
ersten Begegnung mit den Menschen, bei denen ich diesen
Sommer verbringen werde: Madeleine und ihrer Familie.
Gwyneth und Gwendolyn heißen die Zwillinge, das hat meine
Mom herausgefunden. Furchtbare Namen, wenn man mich
fragt. Aber immerhin heißen die beiden nicht wie irgendein
Obst, eine europäische Großstadt oder eine Automarke – das
soll bei amerikanischen Eltern ja auch sehr beliebt sein.
Ich zwinge mich, meine Augen vom Boden zu heben und
mich in der schmucklosen Halle umzuschauen. Überall sind
Menschen. Kinder hüpfen aufgeregt auf und ab. Pärchen begrüßen
sich mit innigen Küssen, als hätten sie sich seit Hundert
Jahren nicht mehr gesehen. Alte und Junge fallen sich
freudig in die Arme. Wartende mustern mich mit erwartungsvollen
Augen und lassen ihre Blicke dann weitergleiten.
Sie halten Blumen und Luftballons in den Händen. Überall
sind Schilder, auf denen Namen stehen. Nur meinen kann ich
nirgendwo finden.
Unsicher bahne ich mir einen Weg durch die Menge. Murmele
hin und wieder »Sorry«, wenn ich mit meinem Riesenkoffer
gegen Schienbeine rempele. Ich habe den Ausgang schon beinah erreicht, als ich endlich das erlösende Schild
entdecke.
Nicole Klinkert steht darauf in einer weit
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