New York - Love Story
zu
können ist doch heutzutage so wichtig. Ich sehe das täglich
in der Galerie. Künstler und Kunden aus aller Welt kommen
zu uns und Englisch ist die allgemeine Verständigungssprache.
Ohne gutes Englisch bist du später im Studium oder im
Job aufgeschmissen!«
Mom macht eine Pause und sieht aus, als würde sie von
mir lautstarken Protest erwarten. Mir hingegen ist gerade
nach Jubeln zumute. Wahnsinn, dass meine Mutter mir eine
derart gute Steilvorlage für meinen New-York-Plan bietet!
»Tja, Mom, vielleicht hast du recht«, starte ich meinen strategischen
Überzeugungsfeldzug. Erst mal zustimmen, denke
ich mir, damit meine Mutter das Gefühl hat, die Initiative gehe von ihr aus, und als Zweites Fakten auf den Tisch legen.
»Ich hätte hier …«, fahre ich fort und taste nach meiner Tasche,
die ich vorhin neben dem Stuhl habe fallen lassen. Aber
meine Mutter lässt mich gar nicht weiterreden.
»Das ist ja schön, dass du endlich zu derselben Einsicht gelangt
bist«, fällt sie mir ins Wort. »Und stell dir vor: Ich habe
eine großartige Überraschung für dich!«
Eine Überraschung? Was soll das heißen? Ich will keine Überraschung.
Ich habe einen eigenen Plan, einen richtig guten sogar!
»Ich habe auch …«, mache ich einen erneuten Versuch,
aber auch dieses Mal unterbricht Mom mich.
»Ich habe gestern mit meiner Freundin Madeleine telefoniert.«
»Madeleine? Deine Freundin?«, echoe ich irritiert. Den
Namen habe ich von meiner Mutter noch nie gehört.
»Na ja, Freundin ist zu viel gesagt. Sie ist eine Bekannte aus
Studienzeiten. Amerikanerin. Ihre Eltern waren stinkreich,
sind es vermutlich immer noch, und ihre Tochter Madeleine
sollte damals in Europa die alten Künstler studieren. Wir
haben uns in einem Kurs über Michelangelos Wirkung auf
die europäische Kunst kennengelernt. Ich weiß das deshalb
noch so genau, weil ich Madeleines schockierten Gesichtsausdruck
nie vergessen werde, als die Dozentin von den zu
klein geratenen Geschlechtsteilen der David-Statue sprach!«
Meine Mutter gackert vor sich hin, und ich spüre, wie mir
das Blut in die Wangen schießt. Ich finde, manche Themen
sollten zwischen Müttern und Töchtern einfach tabu sein!
Unbeirrt von meiner roten Gesichtsfarbe fährt Mom fort:
»Madeleine war richtig nett, gar nicht so versnobt, wie man
bei dem Elternhaus erwartet hätte. Allerdings war die Partykultur
das Einzige, was sie in Europa wirklich mit viel Enthusiasmus
studiert hat. Ein halbes Jahr lang hatten wir eine
Menge Spaß zusammen, doch dann reiste sie urplötzlich zurück
in die Staaten. Erst knapp ein Jahr später habe ich wieder
von ihr gehört. Da schickte sie mir ein Foto von sich mit
einem kleinen Baby auf dem Arm …«
Versonnen starrt meine Mutter in ihren Becher, schüttelt
den Kopf und trinkt einen Schluck.
Ich räuspere mich. Langsam frage ich mich, warum ich mir
die Lebensgeschichte von irgendeiner alten Bekannten meiner
Mom anhören muss. Wohin soll dieses Gespräch führen?
Und gibt es vielleicht auch eine Kurzversion?
»Es ist so«, kehrt meine Mutter zurück ins Hier und Jetzt.
»Madeleine hat nicht nur diesen mittlerweile erwachsenen
Sohn, sondern auch noch Zwillinge bekommen. Sie sind sieben
Jahre alt. Und wie es der Zufall will, sucht sie für die beiden
in diesem Sommer dringend ein Au-pair-Mädchen. Als
sie mir das erzählte, habe ich sofort an dich gedacht. Und Madeleine
war begeistert. Sie freut sich schon darauf, dass du in
den Sommerferien ihr Gast sein wirst! Also, was meinst du?«
Halt! Stopp! Hat meine Mutter gerade wirklich vorgeschlagen,
dass ich meine Sommerferien als Kindermädchen für zwei
kleine amerikanische Gören vergeuden soll, anstatt nach New
York zu fliegen und Simon zu finden? Meint sie das ernst?
»Mom«, antworte ich und hoffe, dass sie dem Tonfall nicht
meine Zweifel an ihrem gesunden Menschenverstand anhört.
»Bist du sicher, dass du wirklich an deine Tochter gedacht
hast, als du auf die Idee kamst, sie den Zwillingen dieser Madeleine
auf den Hals zu hetzen? An deine Tochter, die noch
nie in ihrem Leben eine einzige Stunde als Babysitter gejobbt
hat? Die einen großen Bogen um Kinderwagen macht und
sabbernde, zahnlose Wesen nur nervig und keineswegs niedlich
findet. Deine Tochter, die, wie du weißt, nicht einmal
Geschwister hat. Mom, bist du wirklich sicher, dass du dabei
an mich gedacht hast?«
Mom lacht, steht auf und geht zur Kaffeemaschine, um
sich ihren Becher vollzuschenken. Dann dreht sie sich wieder
zu mir um
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