New York - Love Story
geschnittenen dunkelblonden Haarspitzen.
Sein kantiges Gesicht trägt eindeutige Züge von an Arroganz
grenzender Selbstsicherheit, und seine Augen – ein irritierendes
Hellgrau – mustern mich so durchdringend, dass es mir
unangenehm wird.
Garantiert gebe ich eine grauenhafte Erscheinung ab: völlig
unpassend angezogen, ungeschminkt und zerknittert. Meine
linke Hand fährt wie von selbst in meine Haare, die ich mit
einem Haargummi am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden
habe. Nach dem Nickerchen im Auto hat meine Frisur
jetzt garantiert Ähnlichkeit mit einem Vogelnest. Als ich das
spöttische Grinsen meines Gegenübers bemerke, lasse ich die
Hand schnell wieder sinken.
»You must be that German girl«, vermutet der Typ ganz
richtig. Ich nicke unsicher. Woher weiß er, wer ich bin? Und wer ist er eigentlich? Doch bevor ich dazu komme, ihn das zu
fragen, erklärt er mit einem vielsagenden Blick auf mein Outfit:
»Now I get the term German Gemütlichkeit. «
Es dauert einen Moment, bis ich schalte. Zunächst kapiere
ich gar nicht, warum er das letzte Wort auf Deutsch ausgesprochen
hat. Dann erinnere ich mich, dass Herr Weckmann
uns mal eine Liste mit deutschen Wörtern in die Hand gedrückt
hat, die die Engländer und Amis von uns übernommen
haben. Kindergarten, zum Beispiel. Rucksack. Und noch
einige mehr. Gemütlichkeit war wahrscheinlich auch dabei.
Aber so, wie dieser Typ das gerade zu mir gesagt hat, mit abschätziger
Miene und spöttischem Grinsen, war das garantiert
eine Beleidigung.
Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden. Er hat ja recht.
Meine Klamotten sehen gammelig aus, verglichen mit diesen
ganzen Schicki-Micki-Outfits hier. Ich bin nicht gestylt, ich
dufte nicht wie eine Parfümerie und ich mag noch nicht mal
Kaviar. Aber: hey! Niemand hat mich vorgewarnt, dass ich
an meinem ersten Abend in New York gleich mitten in eine
Upper-Class-Party reinstolpern würde. (Nicht dass ich dann
etwas Passendes zum Anziehen gehabt hätte, aber das kann
dieser arrogante Kerl ja nicht wissen!)
Nur mal fürs Protokoll: Seit ich aus dem Flieger gestiegen
bin, scheint irgendjemand ein Spielchen mit mir zu spielen,
dessen Regeln ich nicht verstehe. Am Flughafen holt mich
ein stummer Spezialagent ab, verfrachtet mich in einen Luxusschlitten
und karrt mich in ein Nobelappartement, wo eine Megaparty steigt, auf der es massenweise Fischeier und
Champagner, aber nichts Vernünftiges zu essen gibt. Anscheinend
ist hier nicht einmal ein Gästezimmer vorhanden, in
dem ich mich endlich hinlegen könnte. Und zu allem Überfluss
sitzt mir nun auf einem Zigtausend-Dollar-Sofa, das
unbequemer ist als die Pritsche im Sanitätszimmer unserer
Schule, ein verwöhntes Millionärssöhnchen gegenüber und
macht mich blöd an!
Ich muss einen ziemlich perplexen Gesichtsausdruck gemacht
haben, denn nun lacht der Typ auch noch. Und plötzlich
brennt bei mir eine Sicherung durch.
Reflexartig hebe ich meinen rechten Arm und kippe dem
Typ den Inhalt meines Sektglases über seinen teuren Anzug.
Sein Lachen verstummt augenblicklich, als sich ein riesiger
feuchter Fleck von seiner Brust bis hinunter zu seinen Knien
ausbreitet.
Ob ich es auch geschafft habe, ihm das spöttische Grinsen
aus dem Gesicht zu wischen, kann ich nicht mehr sehen.
Denn ich bin schon aufgesprungen, um mir ein stilles Eckchen
zu suchen, wo ich vor Scham sterben kann.
Ich habe noch nie im Leben verschlafen! Normalerweise
wache ich immer kurz vor dem Klingeln des Weckers auf.
Doch der Jetlag scheint meinen Organismus völlig durcheinandergebracht
zu haben. Vielleicht ist auch das traumatische
Erlebnis mit der Champagnerdusche nicht ganz unschuldig.
Denn nachdem mich gestern Abend ein rettender Engel
(oder vielmehr eine kleine dicke Frau mit weißer Schürze)
im Gang aufgelesen und in mein Zimmer befördert hatte, fiel
ich zwar wie ein gefällter Baum aufs Bett, konnte dann aber
stundenlang nicht einschlafen, weil mir das Bild von dem
durchnässten Schnösel nicht mehr aus dem Kopf ging. Peinlich! Ich hoffe bloß, dass ich den Kerl in den nächsten sechs
Wochen nicht wiedersehen werde!
Irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen – und hatte
einen furchtbar verwirrenden Traum. Wieder sitze ich auf
dem unbequemen weißen Ledersofa und schütte den Sekt
über den Anzug meines Gegenübers. Aber es ist nicht der arrogante
Fremde, sondern ausgerechnet Simon, den ich damit durchnässe. Ich habe furchtbare Angst, dass er einen Streit
anfangen wird, weil ich ihm seine teuren
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