New York - Love Story
Jemand rempelt mich unsanft an.
»Sorry!«
Ein junger Kellner mit einem silbernen Tablett voller Häppchen
schaut mich entschuldigend an, wendet sich aber sofort
wieder ab und verschwindet zwischen den Gästen.
Während ich noch überlege, ob ich vielleicht unsichtbar
geworden bin, kommt eine Frau mit einem breiten Lächeln
auf den knallrot geschminkten Lippen auf mich zu. Die blond
gesträhnten Haare liegen wie ein kinnlanger Helm um ihren
Kopf, ihr durchtrainierter Körper steckt in einer schwarzen
Designer-Wurstpelle mit tiefem Dekolleté, aus dem ihre
Brüste herauszuhüpfen scheinen.
»Du musst Nicole sein«, sagt sie mit amerikanischem Singsang
in der Stimme, und das Lächeln wird noch ein bisschen
breiter, sodass es eine Reihe makelloser weißer Zähne entblößt.
»Niki«, stottere ich. »Ich heiße nur Niki.«
Das Lächeln wird ein wenig schief, doch schnell rückt sie
es wieder gerade. Die Frau – ich schätze, dass es sich um Madeleine
Carter handelt – fasst mich am Arm und zieht mich
mit.
»Niki, großartig!«, sagt sie mit Begeisterung. »Herzlich
willkommen. Wir veranstalten heute eine kleine Soiree für einige
Geschäftsfreunde meines Mannes. Ganz formlos, wie du
siehst. Fühl dich wie zu Hause. Sicher bist du hungrig nach
dem Flug. Setz dich einfach hierher und iss etwas.« Sie drückt
mich auf eines der weißen Ledersofas, das weitaus weniger
bequem ist als die Sitze in der Limousine, und winkt einem
Kellner, der augenblicklich mit einem silbernen Tablett angeflogen
kommt.
»Enjoy«, flötet Madeleine. In diesem Moment drängt sich
eine Frau in einem schreiend bunten Wallekleid und mit den
Ausmaßen eines Schlachtschiffs durch die Menge zu Madeleine
und flüstert ihr hektisch ins Ohr. Ohne einen weiteren
Blick auf mich zu werfen, dreht sich meine Gastmutter um
und verschwindet zwischen ihren Gästen.
Ich starre ihr hinterher, bis ich ein vernehmliches Räuspern
höre. Ungeduldig streckt mir der Kellner sein Tablett
entgegen. Tatsächlich habe ich Hunger, denn das Letzte, was
ich gegessen habe, war ein pappiges Sandwich im Flugzeug.
Doch beim Anblick der winzigen Kräcker mit weißem Frischkäse
und kleinen schwarzen Körnchen obendrauf zieht sich
mein Magen unangenehm zusammen. Kaviar! Ich erinnere
mich noch gut daran, dass meine Mutter solche Häppchen bei einer Vernissage angeboten hat. Ich war noch ein Kind
und hatte keine Ahnung, was das schwarze Zeug auf den leckeren
Kräckern war. Als ich mir einen davon in den Mund
steckte, breitete sich ein so ekliger Fischgeschmack aus, dass
ich das Ganze am liebsten sofort wieder ausgespuckt hätte.
Das ging natürlich nicht mitten in der Galerie vor allen Leuten.
Also würgte ich das Teil mit Abscheu hinunter – und bin
seither für alle Zeiten von Kaviar kuriert!
Ich schüttele also den Kopf und sehe, wie der Kellner fast
unmerklich mit den Schultern zuckt, bevor er sich wieder den
anderen Gästen zuwendet, die diese Fischeier sicher mehr zu
schätzen wissen als ich.
Mein Magen knurrt, die Ankündigung von Essen hat
ihn auf den Plan gerufen. Was gäbe ich jetzt für eine Portion
Pommes! Oder einen Hamburger! Eine Pizza wäre auch
okay. Oder eine Familien-Tüte Gummibärchen! Mein Magen
knurrt lauter.
Als eine Kellnerin im schwarzen Minirock ein Tablett
mit Gläsern an mir vorbeibalanciert, greife ich nach einem
davon. Durst habe ich nämlich auch. Doch schon beim ersten
Schluck stelle ich fest, dass das ein Fehler war. In dem Glas
befindet sich natürlich Sekt. Staubtrockener Sekt, vermutlich
Champagner. Und nach meiner letzten Erfahrung mit diesem
Getränk bin ich nicht scharf auf eine baldige Wiederholung.
Ungemütlich rutsche ich auf der Sofakante hin und her
und suche vergeblich nach einer Möglichkeit, mein Sektglas
wieder loszuwerden. Doch ein Tischchen kann ich nirgends entdecken, um mich herum sehe ich nichts anderes als Beine.
Beine in schwarzen Anzughosen, Beine in Seidenstrümpfen
und in mörderisch hochhackigen Schuhen. Madeleine ist
spurlos verschwunden. Wie komme ich hier bloß jemals wieder
raus? Ich will doch nur ins Bett. Bitte!
»Hi.«
Ein junger Typ lässt sich neben mir auf die Couch fallen
und lehnt sich so entspannt zurück, als handele es sich um
das bequemste Möbelstück der Welt. Er ist höchstens ein paar
Jahre älter als ich, Anfang zwanzig, schätze ich, aber er trägt
Anzug und Krawatte wie alle anderen Männer. Mir ist sofort
klar, was ich vor mir habe: den Sohn reicher Eltern, verwöhnt
bis in die fransig
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