Newtons Schatten
Botschaften, die verschlüsselten Briefe, für jemand anderen bestimmt waren.»
«Aber warum haben wir dann die chiffrierte Botschaft bei Mister Kennedy gefunden?», fragte ich. «Neben jenen hermetischen Zeichen?»
«Weil ich glaube, dass Kennedys Mörder den Code nicht zu lesen vermochte», erklärte Newton. «Es gibt da zwar einige Widersprüche zwischen der ersten chiffrierten Botschaft, welche wir fanden und der zweiten, aber dennoch weisen beide gewisse grundlegende Gemeinsamkeiten auf.»
«Wollt Ihr damit sagen, dass Major Mornays Mörder die übrigen drei Morde nicht begangen hat?»
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«Nur, dass er Kennedy und Mercer nicht getötet hat. Denn nur diese beiden Morde waren mit jenem seltsamen alchemistischen Schmuckwerk garniert, welches mich fesseln sollte. Derjenige, der Major Mornay tötete, wollte nur, dass er tot und meinem Zugriff entzogen wäre.»
«Aber warum?»
«Um das herauszubekommen, müssen wir wohl die Chiffre entschlüsseln», sagte Newton.
«Dann glaubt Ihr also, derjenige, der Kennedy und Mercer getötet hat, wollte Euch lediglich von dieser Goldguineen-Sache ablenken.»
«Kennedy wurde umgebracht, weil er Mercer beobachten sollte.
Mercer wurde getötet, weil er beobachtet wurde. Weil er vielleicht die Namen seiner Falschmünzerkomplizen preisgegeben hätte.»
«Das ist äußerst verwirrend», sagte ich.
«Im Gegenteil», sagte Newton. «Meine Hypothese ist mit den Phänomenen absolut konsistent und ich kann sagen, ich sehe jetzt allmählich Licht.» Er nickte energisch. «Ja, ich halte sie für überaus plausibel, da sich ein Großteil dessen, was wir gesehen haben und was ansonsten unerklärlich wäre, problemlos daraus ergibt.»
«Wenn Ihr nicht glaubt, dass Major Mornays Mörder auch Kennedy und Mercer umgebracht hat», sagte ich, «hat er dann Eurer Meinung nach etwas mit George Maceys Tod zu tun?»
«Ich halte das sehr wohl für mö glich. Aber wir haben keine Fakten. Daher kann ich keine Hypothese aufstellen. Tatsächlich habe ich ziemlich außer Acht gelassen, was ich über George Macey weiß.»
Newton erhob sich von seinem Stuhl und trat an das Bücherbord, wo sich neben den Unterlagen der Münze, einigen numismatischen Werken, Geschäftsbüchern, juristischen
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Urteilssammlungen und Mister Violets Unterhausreport von 1651 auch George Maceys kleine Bibliothek befand: eine Lateinfibel, ein Mathematikbuch, ein Lehrbuch der französischen Sprache und eines der Kurzschrift.
«Jetzt ist wohl über ihn nicht mehr viel herauszubekommen», sagte ich.
«Außer dass seine Lektüre ein löbliches Streben nach Weiterbildung zeigt», sagte Newton. «Es ist immer am besten, man lernt aus eigenem Antrieb. Die hochwertigste Bildung ist die, die man sich durch inneren Fleiß ohne Lehrer erwirbt. Auch ich habe mir die Mathematik selbst angeeignet. Und dennoch wundert mich, dass Mister Macey Französisch lernen wollte.
Mein eigenes Französisch ist alles andere als perfekt. Weil ich die Franzosen gar nicht leiden kann.»
«Da wir ja immer noch mit ihnen im Krieg liegen», sagte ich,
«kann ich's Euch nicht verdenken, Doktor.»
Ohne Melchior zu beachten, welcher ihm den Schwanz um die Hand schlang wie einen Hurenschal, nahm Newton Mister Maceys französische Grammatik heraus, blies den Staub, den es wegen der ständigen Vibration der Maschinen, von der Kanone ganz zu schweigen, in der Münze stets reichlich gab, vom Einband und blätterte in dem Buch herum. Zu meiner Überraschung, da ich wusste, dass Newton das Buch bereits inspiziert hatte, fand er zwischen den Seiten ein Stück Papier.
«Dies ist die Rechnung eines Buchhändlers», sagte Newton.
«Samuel Lowndes, im Savoy.»
Das Savoy war ein riesiges Gebäude auf der Südseite des Strand, mit einem Grundstück, welches sich bis an den Fluss hinabzog. Es war größtenteils in ein Hospital für kranke und verwundete Seeleute und Soldaten umgewandelt worden, sodass die ganze Gegend von Männern wimmelte, welche erst kürzlich aus dem flandrischen Krieg zurückgekehrt waren. Manche waren von Kartätschen oder Geschützgranaten grässlich
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verstümmelt und einigen armen Teufeln, die ich sah, fehlten Gliedmaßen oder Teile des Gesichts.
Den Rest des Gebäudes okkupierten eine französische Kirche, die königliche Druckerei, zwei Gefängnisse, beide voll, ein paar Privatwohnungen und eine Reihe Läden, darunter auch Samuel Lowndes' Buchhandlung.
Mister Lowndes war ein kleiner, dünner Mann mit einem
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