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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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ging oft zum Gericht in Westminster Hall. Er hörte sich an, was
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    immer gerade verhandelt wurde und der wahre Grund seines Aufenthalts dort schien es zu sein, einen hochgewachsenen Geistlichen zu treffen, der einen großen Hut mit einem schwarzen Satinband und eine lange rosafarbene Stola trug und von dem er Order entgegenzunehmen schien. Krummbeinig und stiernackig, erwies sich dieser Bursche als außerordentlich schwer zu verfolgen und wir verloren irgendwo in Southpark seine Spur, sodass er, zumindest fürs Erste, der Identifizierung entging.
    Während ich Sergeant Rohan wie ein Schatten zwischen den vielen Läden hindurch folgte, welche Westminster Hall zu beiden Seiten säumten, ereignete sich ein kurioser Zwischenfall, der dazu führte, dass ich ihn näher kennen lernte und eine bessere Meinung von ihm gewann.
    Ich hatte nur kurz den Blick von dem Sergeant gewandt, um eine der vielen gewerbetreibenden Damen zu betrachten, welche hier verkehren, stets mit irgendwelchen juristischen Dokumenten bewehrt, die den Eindruck erzeugen, sie seien als Klienten hier statt selbst auf der Suche nach solchen. Da musste ich plötzlich zu meiner Bestürzung feststellen, dass ich den Sergeant aus den Augen verloren hatte. In die Überlegung vertieft, dass ich vielleicht doch nicht zum Spion geeignet sei, weil ich mich zu leicht von losen Weibsbildern ablenken ließ, war ich auf dem Weg zum Portal des Gerichtsgebäudes, als ich plötzlich, während ich erneut eine dieser hübschen Dirnen beäugte, mit dem Sergeant höchst selbst zusammenstieß. Er erriet, warum ich nicht besser aufgepasst hatte, wo ich hinsteuerte und war äußerst belustigt. Er klopfte mir auf die Schulter und lud mich, mit einer Liebenswürdigkeit, die mich überraschte, in ein nahes Wirtshaus ein. Ich ging mit, da ich mir sagte, ich könnte auf diese Weise vielleicht etwas Nützliches über ihn erfahren. Und das geschah auch, nur nicht so, wie ich es mir gedacht hatte.
    «Euer Mister Newton», sagte er, während er uns zwei Krüge
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    von Bydes Bestem beschaffte, «ist ein gescheiter Mann. Ich weiß nicht, wie er darauf kommt, mich der Meuterei zu verdächtigen, aber es ist ganz und gar nicht so zwischen dem Major und mir, wie er glaubt. Wir sind alte Freunde, der Major und ich, so alte Freunde, dass wir den Rangunterschied vergessen, wenn wir uns streiten, wie es zwischen Freunden gelegentlich vorkommt. Wenn man mit einem Mann zusammen gedient hat, neben ihm gekämpft und ihm ein paar Mal die Haut gerettet hat, dann verleiht einem das gewisse Privilegien. Es begründet eine Art Anrecht, wenn man so will. Oder eine Schuld, andersherum gesehen.»
    «Ihr habt Major Mornay das Leben gerettet?»
    «Weniger gerettet als bewahrt. Wir gerieten beide in Gefangenschaft, bei der Schlacht von Fleuris in Flandern, wo wir für König William kämpften. Das war die erste Niederlage des Königs in den Niederlanden, im Jahr 1690. Der französische General, Luxembourg, war ein grausamer Mensch und seine Gefangenen wurden sämtlich zu lebenslanger Galeerenstrafe auf König Louis' Kriegsgaleeren verurteilt. Drei Tage später waren der Major und ich in Dünkirchen, wo wir auf die Galeere L'Heureuse kamen. Wisst Ihr, was dieser Name bedeutet?»
    Ich schüttelte den Kopf.
    «Es heißt ‹Die Glückliche›», sagte der Sergeant grinsend. «Aber ich kann Euch sagen, von Glück kann auf einer französischen Galeere kaum die Rede sein.
    Lasst Euch erzählen, was eine Galeere ist junger Freund. Sie hat fünfzig Ruderbänke, fünfundzwanzig auf jeder Seite und auf jeder Bank sind sechs Rudersklaven angekettet. Das macht dreihundert Mann. Wer nie erlebt hat, was es bedeutet, Galeerensklave zu sein, kann es sich unmöglich vorstellen. Ich selbst habe öfter als einmal vierundzwanzig Stunden am Stück gerudert, ohne die kleinste Ruhepause, ermuntert von den Peitschen der comites, die uns befehligten. Wenn einem die
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    Sinne schwanden, wurde man gepeitscht, bis man entweder wieder zu rudern begann oder aber tot war, worauf man den Haien zum Fraß vorgeworfen wurde. Die Peitsche schwangen vor allem Türken.» Der Sergeant grinste, als er an diese Grausamkeiten zurückdachte. «Kein Christ vermag einen Mann so zu peitschen wie ein Türke. Welcher einen bis auf die Knochen traktiert, mit einem Tau, dessen Ende in Pech und Salzwasser getaucht wurde.
    Die Stärksten und die Schwächsten wurden zusammengespannt, weshalb ich mit dem Major an ein Ruder kam. Ich saß am Ende der

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