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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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es auch überaus beängstigend ist. Wenn ich im Tower bin, habe ich stets das Gefühl, mir könnte gleich etwas Schreckliches widerfahren.»
    «Das ist nicht weiter ungewöhnlich», bemerkte mein Bruder.
    «Jedenfalls nicht im Tower.»
    Ich nickte geduldig und nahm mir vor, so bald wie möglich aus seinem Amtszimmer hinauszugelangen, ohne vorher noch Streit mit ihm anzufangen.
    «Dann ist da noch die Rede von den Templern und vergrabenen Schätzen, was nahezu jedem Motiv genug sein könnte, andere umzubringen, die an der Schatzsuche beteiligt waren oder ihr vielleicht auch im Wege standen. Klar ist nur, dass schon viele dort nach einem Schatz geforscht haben. Barkstead, Pepys...»
    «Samuel Pepys?»
    Ich nickte.
    «Dieser verdammte Tory», sagte er.
    «Flamsteed. Weiß der Himmel, wer noch.»
    «Verstehe.»
    «Dann sind da noch eine Reihe Hugenotten im Tower.»
    «Nicht nur im Tower. Das ganze Land ist mit Franzosen verseucht.»
    «Sie sind sehr konspirativ und erregen dadurch Newtons Verdacht.»
    «Welcher Franzose erregt keinen Verdacht?», sagte Charles.
    «Woran sie natürlich selbst schuld sind. Sie glauben, wir können sie einfach deshalb nicht leiden, weil wir ihre historischen Feinde sind. Aber der wahre Grund, weshalb wir sie nicht leiden können, ist ihre verdammte Unverschämtheit und Arroganz.
    -200-

    Egal, ob Katholik, Protestant, Jude oder Jesuit, von mir aus mögen alle Franzosen ohne Ausnahme zur Hölle fahren.» Er hielt inne. «Auf welches Pferd setzt ihr am ehesten?»
    «Newton ist ein Gentleman von streng wissenschaftlichen Grundsätzen», sagte ich. «Er stellt keine Hypothesen auf, ohne zuvor genügend Fakten zu haben. Und es ist sinnlos, ihn dazu bewegen zu wollen. Ebenso gut könnte man einer Flasche ein Klistier einführen und erwarten, dass sie scheißt. Aber er ermittelt überaus fleißig und gewissenhaft und wenn er auch nicht viel sagt, glaube ich doch, dass er diese Dinge sehr gründlich abwägt.»
    «Freut mich sehr, das zu hören», sagte Charles. «Drei verfluchte Morde an einem Ort, der doch als die sicherste Festung Britanniens gilt? Das ist wahrhaftig ein Skandal!»
    «Wenn jemand diese Rätsel lösen kann, dann er», erklärte ich.
    «Wenn man nur in seiner Nähe ist, fühlt man seinen Geist schon vibrieren wie eine Maultrommel. Aber ich wage nicht, ihm zu viele Fragen zu stellen, denn er findet mich sonst verwirrend und lästig.»
    «Da haben wir ja etwas gemeinsam, er und ich», höhnte mein Bruder.
    «Sobald er zu irgendeinem Schluss gekommen ist, wird er es mir gewiss sagen, denn ich genieße sein Vertrauen. Aber vorher nicht. Omnis in tempore, Bruder.»
    Charles ergriff seine Schreibfeder und hielt sie über ein leeres Blatt Papier, zögerte aber zu schreiben.
    «Das wird wahrhaftig ein feiner Bericht an Mister Lowndes», sagte er und warf die Feder beiseite. «Beim Blute des Herrn, ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Ebenso gut könnte ich seine verdammten Prinzipia darlegen.» Er schnaubte unwirsch. «Ich habe hineingeschaut und bin überhaupt nicht schlau daraus geworden. Es verblüfft mich, dass mir etwas so Gescheites das Gefühl geben kann, so dumm zu sein. Hast du sie gelesen?»
    -201-

    «Ich habe es versucht.»
    «Ich begreife nicht, wie ein Buch so viel Aufsehen erregen kann, wenn ich keinen einzigen Menschen zu finden vermag, der es tatsächlich gelesen hat.»
    «Ich glaube, es gibt höchstens ein Dutzend Männer in Europa, die sagen könnten, sie hätten es verstanden», sagte ich. «Aber das ist ein erlesenes Dutzend, das weit über uns gewöhnlichen Sterblichen steht. Und sie sind sich alle einig, dass es das bedeutendste Buch ist, welches je geschrieben wurde.»
    Charles guckte betroffen und das zu Recht, denn ich wusste, er verstand von solchen Dingen noch weniger als ich.
    «Natürlich ist er äußerst gescheit», brummelte Charles. «Das wissen wir alle. Es steht in seiner Schatzamtsakte. Aber er ist ein seltsamer Vogel. Sein Pflichtbewusstsein ist allseits bekannt und viel gerühmt. Aber ich glaube, ihm liegt nichts an Lob und Preis. Er will nur hören, dass er Recht hat. Was er ohnehin schon weiß. Und das macht ihn im Staatsdienst zu einem verflixt schwierigen Kunden. Er ist zu eigenständig.»
    «Er ist ein seltsamer Vogel, das ist wahr», sagte ich. «Aber einer, der so hoch fliegt, dass er der Sicht gewöhnlicher Menschen schon fast entschwindet. Für mich ist er ein Adler, welcher sich bis an die Grenzen unserer Welt emporschwingt.
    Und

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