Newtons Schatten
sie mir die Stirn. Es gab Tage, da ich den ganzen Nachmittag wach lag und einfach nur auf sie wartete. An andere Tage erinnere ich mich gar nicht. Ich verfüge nicht über die Worte, meine Liebe zu ihr zu beschreiben. Wie soll man Liebe beschreiben? Ich bin kein Shakespeare. Kein Marvell. Kein Donne. Wenn ich zu schwach zum Essen war, fütterte sie mich. Und sie las mir beständig vor: Milton, Dryden, Marvell, Montaigne und Aphra Behn, deren Werke sie besonders liebte. Oroonoko war ihr Lieblingswerk, wenn ich den Schluss auch zu grausam fand. Darin geht es um einen Sklaven und ich kann ohne Übertreibung sagen, dass ich, als ich kräftig genug war, in die Münze zurückzukehren, selbst ein solcher war, der ihre.
Am achten April, einem Donnerstag, nahm ich meine Arbeit wieder auf. Ich erinnere mich gut daran, weil ich gar nicht hätte vergessen können, dass Mylord Montagu demnächst Earl von Halifax werden sollte und bereits Mylord Godolphin als Ersten Lord der Schatzkammer abgelöst hatte. Und es dauerte noch ein paar Tage, bis mir die Münzgeschäfte erlaubten, Newton zu fragen, was denn aus unseren Ermittlungen in Sachen Daniel Mercer und Mister Kennedy geworden sei, da wir während meiner Krankheit überhaupt nicht über diese Dinge gesprochen hatten.
«Was die Chiffre angeht», sagte Newton, «muss ich gestehen, dass ich nichts erreicht habe und inzwischen ist mir klar, dass ich noch weitere Botschaften brauchte, um die numerische
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Struktur, welche ihr zugrunde liegt, aufzudecken. Mister Berningham ist gestorben. Trotz der Bemühungen dieser Gefängnisdirne ist er dem Gift erlegen. Wahrscheinlich hat sich das Mädchen nicht genau an meine Anweisungen gehalten.
Zweifellos schien es ihr verrückt, einem Mann Holzkohlestückchen zu verfüttern. Und doch hätte es ihn heilen können.
Ich habe Mister Humphrey Hall darauf angesetzt, den Grafen Gaetano und Doktor Love genauestens zu observieren, was bisher noch wenig erbracht hat, außer dass Hooke noch immer dabei ist, sich zu ihrer Kreatur machen zu lassen und ich wäre fast schon unglücklich, würden wir irgendeinen Hinweis darauf finden, dass sie die Mörder Kennedys und Mercers sind, ehe sie Gelegenheit gehabt haben, Hooke den Garaus zu machen oder zumindest seinem Ruf.
Was Sergeant Rohan und Major Mornay anbelangt, so habe ich sie von zweien unserer Agenten beschatten lassen. Offenbar sind beide, der Major und der Sergeant, Hugenotten, wie auch noch einige andere Männer hier im Tower, in der Münze und in der Ordnance. Natürlich wusste ich bereits, dass John Fauquier, der Stellvertretende Münzmeister, Hugenotte ist. Aber ich wusste nicht, dass da noch so viele weitere sind.»
«Es heißt», bemerkte ich, «dass es in London ebenso viele Hugenotten gibt wie Katholiken. Angeblich nicht weniger als fünfzigtausend.»
«Ihr religiöses Zentrum ist die Kirche des Refuge in der Threadneedle Street», sagte Newton. «Manche besuchen die Augustinerkapelle in der City. Andere die Französische Konformistenkirche im Savoy in Westminster. Doch alle Hugenotten hier aus dem Tower, ob sie nun bei der Münze oder bei der Ordnance sind, gehen in die Threadneedle Street. Ich war selbst einmal bei einem Gottesdienst in der Französischen Kirche de La Patente in Spitalfields, wo ich etliches gutheißen konnte, da viele Hugenotten antitrinitarischen Überzeugungen
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anhängen, welche mir vertraut sind. Aber sie sind auch höchst konspirativ. Ich musste mich zu dem Glaubenssatz bekennen, dass Christus nur ein Mensch, wenn auch ohne Sünde, war, ehe sie mich an ihrem Gottesdienst teilnehmen ließen, denn sie haben große Angst vor Spionen. Und nicht ohne Grund, denke ich. Ich habe oft genug gehört, dass heimliche Papisten unter ihnen sind. Meine Agenten sagen das auch, aber es beruht auf nichts Substanziellerem als dem ignoranten Vorurteil, dass alle Franzosen, wöge man sie, für zu leicht befunden würden.»
«Das dachte ich auch immer», erklärte ich. «Gewiss, ich weiß, dass viele Männer, die in der Schlacht am Boyne für König William kämpften, Hugenotten waren, so auch General Ruvigny selbst. Doch ich muss gestehen, ich weiß wenig darüber, worin ihre Verfolgung bestand. Und warum so viele von ihnen hier sind.»
«Aber Ihr müsst doch von der Bartholomäusnacht gehört haben», wandte Newton ein.
«Gehört habe ich schon davon», sagte ich. «Aber ich könnte nicht genau sagen, was da geschah.»
Newton schüttelte den Kopf. «Ich hätte
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