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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Bank und der Major neben mir. Hunde nannte uns der Kapitän des Schiffes und wie Hunde lebten wir auch. Er war ein Mann von höchst jesuitischen Überzeugungen und hasste alle Reformierten. Einmal befahl er einem Türken, einem Sträfling den Arm abzuhacken, um einen anderen damit zu prügeln. Aus irgendeinem Grund hatte der Kapitän den Major aufs Korn genommen und einmal pickte er ihn heraus, um ihn besonders grausam peitschen zu lassen. Ohne mich wäre der Major gestorben. Ich gab ihm die Hälfte meines Schiffszwiebacks und behandelte seine blutigen Striemen mit Essig und Salz, um die beginnende Fäulnis des Fleisches zu unterbinden. Und irgendwie überlebte er.
    Es galt so viel Grausamkeit und Not zu ertragen: die Hitze im Sommer, die Kälte im Winter, die Hiebe, den Hunger, die Kanonaden anderer Schiffe. Einmal wurden wir mit Kartätschen eingedeckt, das sind längliche Blechbüchsen voller Stücken von Ketten und altem Metall, welche in das Geschützrohr gestopft werden. Ein Drittel der Männer auf der Galeere wurde getötet.
    Die Verwundeten warf man allesamt den Haien vor.
    Zwei Jahre überlebten der Major und ich auf diesem katholischen Höllenschiff. Ihr habt mich einmal gefragt, warum ich die Katholiken so sehr hasse. Nun, ich will Euch sagen, warum: Wir bekamen Besuch von der Äbtissin eines katholischen Nonnenordens, die uns Hugenotten die Freiheit
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    versprach, wenn wir unserem Glauben abschworen. Viele von uns taten es, nur um erkennen zu müssen, dass sie gelogen hatte und es gar nicht in ihrer Macht stand, uns freizulassen. Der Kapitän hatte sie angestiftet. Seine Vorstellung von einem Witz, schätze ich.
    Zwei Jahre, mein Freund. Auf einer Galeere ist das eine Ewigkeit. Wir dachten, unser Leiden würde niemals enden.
    Doch dann, eines Tages, gab es eine Seeschlacht. Admiral Russell, Gott segne ihn, besiegte die Franzosen bei Barfleur, unser Schiff wurde gekapert und wir waren frei.»
    Sergeant Rohan nickte und trank sein Bier aus und ich dachte, dass diese Geschichte vieles von dem erklärte, was zwischen ihm und Major Mornay war. Schockiert von seiner Erzählung -
    welche ich hier in Wahrheit nur sehr unzulänglich wiedergegeben habe, schenkte ich der Neugier, die er jetzt in Bezug auf meinen Herrn und dessen Gewohnheiten an den Tag legte, keine weitere Beachtung, sodass ich viele seiner Fragen beantwortete, ohne gewärtig zu sein, in welche Gefahr ich meinen Herrn damit brachte. Was mich später sehr grämen sollte.
    Trotz Newtons scharfer Intelligenz schienen wir der Identifizierung derer, die diese Gräueltaten verübt hatten, nicht näher als vor meiner Krankheit. Daher war es ein Glück, dass die Morde außerhalb der Festungsmauern kaum bekannt waren.
    Auf Anordnung der Lordrichter wurden Doktor Newton und Lord Lucas angewiesen, diese grässlichen Geschehnisse geheim zu halten, weil man befürchtete, die Öffentlichkeit könne darin eine Gefährdung der Münzerneuerung sehen und davon ausgehen, dass diese ebenso scheitern würde wie zuvor bereits die Grundsteuerakte und die Millionenakte. Da die Armee noch immer in Flandern lag, König William im ganzen Land nach wie vor wenig Beliebtheit genoss, sein Sohn, der Herzog von Gloucester, so kränklich und Prinzessin Anne, die in der Thronfolge an zweiter Stelle stand, trotz ihrer siebzehn
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    Niederkünfte noch immer kinderlos war, herrschte große Angst vor einem Aufstand. Und nichts schien so dazu angetan, bestehende Unzufriedenheit zu entflammen, wie eine Fortdauer der Münzentwertung und der Geldknappheit. Der letzte Gültigkeitstag der alten Münzen, der vierundzwanzigste Juni, nahte mit Riesenschritten, aber noch war so wenig von dem neuen Geld im Umlauf, dass die Lordrichter heimlich die Parole ausgegeben hatten, jede Nachricht, die der Münze und der Neuprägung schaden könne, sei zurückzuhalten.
    Dennoch herrschte große Neugier oder vielmehr Sorge, was Doktor Newtons Ermittlungsergebnisse betraf. Da sein empfindliches und aufbrausendes Gemüt in Whitehall nur allzu bekannt war, wurde es meinem Bruder (der, wie ich schon sagte, Untersekretär bei William Lowndes, dem Ständigen Sekretär des Schatzamtes, war) übertragen, aus mir herauszubekommen, wie die Ermittlungen meines Herrn voranschritten. Jedenfalls sagte er das zu Beginn unserer Unterredung. Erst gegen Ende unseres Treffens erfuhr ich dessen wahren Zweck.
    Wir trafen uns in Charles' Amtszimmer in Whitehall, während Newton sich vor den Lordrichtern für die

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