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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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aufgebrochen. Die exakte Folge musste verborgen werden, wenn die codierte Information nicht jedem zugänglich sein sollte. Dazu gab es die Kryptographie, in der die Menschen versuchten, mit den Computern zusammenzuarbeiten.
    Damals hatten wir den Maschinen etwas voraus, das will ich noch einmal hervorheben. Wir konnten Zufall erzeugen. Zumindest glaubten wir das. Wenn ich als Mensch zum Beispieleinen 12 8-Bit -Schlüssel erstellen wollte, dann konnte ich eine Münze nehmen und sie 12 8-mal in die Luft werfen. Immer wenn die Münze wieder in meiner Hand gelandet war und ‹Kopf› zeigte, notierte ich die 0. Wenn sie ‹Zahl› zeigte, notierte ich die 1. Nach 128 Würfen war der Schlüssel fertig – ein echter Zufallsschlüssel. Ich initialisierte mit jedem Wurf erneut das gesamte Herstellungsverfahren für den Zufallsschlüssel. Die Münze flog, je nach äußeren Bedingungen, schneller oder langsamer, höher oder tiefer, geradlinig oder in einem Bogen. Und nie wären wir damals in der Lage gewesen, alle Umstände, die auf die entstandene Zahlenreihe aus 0 und 1 eingewirkt hatten, zu benennen und zu berechnen. Durch einen Luftzug im Raum war die Flugkurve der Münze verändert worden, mein Hautwiderstand, meine mehr oder minder ausgeprägte Konzentration auf den einzelnen Wurfvorgang, all das hatte Einfluss darauf, wann und wie die Münze wieder landete. Es war ein chaotisches Verfahren und damit zufallsbestimmt. Und niemand, nicht der noch so weit entwickelte Computer und auch nicht wir Menschen, hätte damals berechnen oder vorhersagen können, wie der 12 8-Bit -Schlüssel am Ende aussehen würde.
    Eine andere Möglichkeit lag darin, den Schlüssel für die Decodierung einer Information, die ein Geheimnis bleiben sollte, auf viele Menschen zu verteilen. Im obigen Beispiel hieße das, ich hätte mich mit 127 weiteren Menschen in einem Raum versammeln müssen. Jeder der Anwesenden hätte eine Nummer von 1 bis 128 bekommen und sich dann jeweils für die 0 oder für die 1 entschieden. Auch in diesem Prozess wäre am Ende eine zufällige Zahlenreihe entstanden, ein 12 8-Bit -Schlüssel. Mit einem Unterschied: Wir hätten uns wieder mit allen 128 Personen in dem Raum einfindenmüssen, um den Schlüssel zusammenzusetzen. Niemand von uns hätte die endgültige Zahlenreihe gekannt, weil ja jede Zahl das Geheimnis des einzelnen Menschen geblieben wäre, der sie sich ausgedacht hatte.
    Um einen solchen Prozess des «Secret Sharing», 14 der dann auch von Computern übernommen und simuliert worden ist, für die Verschlüsselung einer Information zu organisieren, bedurfte es eines «Dealers», der jedem «Mitspieler» einen Anteil an der Information, also einen Teil des Geheimnisses zuteilte. Keiner der Beteiligten hätte mit seinem Anteil das Geheimnis entschlüsseln können. Nur der «Dealer» war in der Lage, alle Bestandteile abzurufen, um so das Geheimnis wieder zusammenzusetzen und zu entschlüsseln.
    Der «Dealer» waren immer wir selbst. Wir Menschen verfügten über alle Bestandteile der von uns selbst erzeugten Informationen. Wir waren die Herrscher über ein Geheimnis, wenn wir den richtigen Weg wählten, mit ihm umzugehen. Wir konnten, allein kraft unseres Denkens und Handelns, Informationen verschlüsseln und wieder entschlüsseln, auf die zwischenzeitlich niemand zugreifen konnte. Nicht ein anderer Mensch und auch kein Computer. Wenn ich mich daran erinnere, empfinde ich einen seltsamen Verlust. Es ist die Erinnerung an einen verlorenen Zustand. An einen Moment der menschlichen Überlegenheit, den es nicht mehr gibt.
    Nun ist es anders. Wir alle können auf alles zugreifen. Es gibt keine verschlüsselten Informationen mehr und auch keine Geheimnisse. Da alle Datenbestände immer potenziell mit allen weiteren Datenbeständen vernetzt sind, kann es das auch nicht mehr geben. Ein Zustand der totalen Informationstransparenz und -demokratie . Ist es nicht das, was wir wollten? Ich denke, so muss es sein. Aber ich gestehe, dassauch an diesem Punkt ein Zweifel bleibt. Ich werde ihn nicht auflösen und mich daher nicht von ihm erlösen können. Der Zweifel bleibt in mir.
    Er wird vor allem genährt aus den Erinnerungen, die noch in der Körperzeit entstanden sein müssen, als die erste Bewegung zur totalen Transparenz entstanden war. Es gab Organisationen, zum Beispiel Wikileaks 15 , die über Dekaden dafür gekämpft haben, gelegentlich auch mit zur damaligen Zeit unerlaubten Mitteln. Sie haben einfach ganze

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