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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ich auch gar nichts darüber hören. Alles, was ich will, ist eine Weile Ruhe und ein wenig Schlaf, damit ich mich morgen wieder auf dieses Pferd setzen, deine Anwesenheit ertragen und mir den Mund in Fransen reden kann.« Er schnappte nach Luft wie ein Schwimmer in Bedrängnis. »War das deutlich genug?«
    Nimmermehr gab keine Antwort. Er horchte auf ihren leisen, weichen Atem in der Nacht, und plötzlich hatte er das verrückte Bedürfnis, sie zu berühren, einfach um zu wissen, daß sie wirklich noch da war. Im Moment war sie das einzige, das ihn am Leben hielt. Ohne sie war er verloren.
    Er wartete, erst gelassen, dann immer ungeduldiger, daß sie endlich wieder mit ihm sprechen würde, und wenn es nur eine weitere kindische Bemerkung oder eine neue Besserwisserei war. Seine Müdigkeit war immer noch da, aber er konnte nicht einschlafen, ohne daß sie irgend etwas erwiderte; dafür haßte er sich beinahe selbst.
    Sie aber sagte nichts. Schwieg nur und schmollte wahrscheinlich stur vor sich hin.
    Irgendwann, er hatte das Gefühl, die halbe Nacht sei vergangen, fragte er: »Schläfst du?«
    Ein Augenblick verging. »Nein«, sagte sie dann. Nichts sonst, nur das eine Wort. Das paßte gar nicht zu ihr.
    »Ich habe das eben nicht so gemeint.« Liebe Güte, was war nur aus ihm geworden!
    »Was meinst du?« fragte sie verständnislos.
    Vielleicht hatte sie ihn ja schon um den Verstand gebracht, ohne daß er selbst es bemerkt hatte. »Vergiß es«, sagte er deshalb mit halbherzigem Grimm.
    »Tut mir leid, ich habe nicht zugehört.«
    Einen Moment lang war er sprachlos. Dann, ganz allmählich, fand er wieder zu sich selbst. Er durchschaute ihre List. Nicht zugehört? Natürlich nicht, dachte er hämisch. Was sie nicht hören wollte, das hörte sie nicht!
    Nimmermehr flüsterte: »Ich habe hinaus in die Nacht gelauscht. Er kommt näher.«
    »Wer?« fragte Hagen und setzte sich ruckartig auf. »Dein Magier?«
    »Morten, ja. Spürst du ihn nicht?«
    Widerwillig horchte er ins Dunkel. Eine Grille zirpte nahe an seinem rechten Ohr. Und vom Himmel ertönte das Kreischen ferner Raben.
    Raben? Mitten in der Nacht?
    Zum ersten Mal seit Stunden überkamen ihn wieder Zweifel. Sagte sie die Wahrheit? War es wirklich so dunkel, wie sie behauptete? Wer sagte ihm denn, daß es nicht heller Nachmittag war? In seiner Verfassung hätte er zu jeder Tageszeit müde sein können, das war kein Anhaltspunkt. Und seine Blindheit machte die Unterscheidung unmöglich.
    Die Erkenntnis war wie ein Schlag ins Gesicht: Er war nicht nur auf Nimmermehr angewiesen, er war ihr mit Haut und Haaren ausgeliefert! Er mußte ihr vertrauen, weil er gar keine andere Wahl hatte!
    Unwillkürlich gab er sich alle Mühe, ihr zu glauben. Es war Nacht.
    »Sind es vielleicht die Raben, die du hörst?« fragte er gefaßt.
    »Nein. Die sind immer da. Ich meine ihn. Seine Gedanken.«
    »Du hörst Mortens Gedanken?«
    »Ich kann den Haß darin spüren. Er wird bald hier sein.« Leiser fügte sie hinzu: »Er wird mir weh tun.«
    Ein böser Traum, dachte er. Sie hatte geschlafen, ohne daß er es bemerkt hatte, und nun konnte sie nicht mehr zwischen Nachtmahr und Wirklichkeit unterscheiden.
    »Niemand wird dir weh tun.« Er versuchte sanft zu klingen, aber darin war er nie besonders gut gewesen. »Ich passe auf dich auf.« Selbst in ihrem Zustand mußte sie durchschauen, wer hier in Wahrheit auf wen achtgab. Aber es war das beste, das ihm in den Sinn kam. Nicht viel, gestand er sich ein.
    Die Furcht in ihrer Stimme war jetzt noch deutlicher. »Er wird kommen, und er wird dich töten, und mich wird er auch töten, aber nicht gleich. Und vorher wird er mir Schmerzen zufügen, schlimme Schmerzen, aber du bist ja dann tot und wirst nichts mehr davon mitbekommen.«
    Er lächelte; vielleicht war es wirklich an der Zeit, einen Arm um sie zu legen.
    Aber er tat es nicht. »Ich mag zwar blind sein, aber so schnell bringt man mich nicht um.« Insgeheim wußte er genau, was für einen Unsinn er da redete.
    »Morten schon.«
    Hagen unterdrückte einen Seufzer. »Was schlägst du denn vor? Sollen wir weiterreiten?« Mitten in der Nacht, wollte er hinzufügen, ließ es dann aber bleiben.
    Sie klang immer noch, als spreche sie im Halbschlaf. Ängstlich zwar, aber zugleich seltsam fern und gedankenverloren. »Ich kann ihm nicht entkommen. Er ist das Buch ohne Seiten. Er weiß alles, sieht alles, sogar, daß du bei mir bist.«
    »Buch ohne Seiten?« fragte er verwundert. »Was soll das sein?

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