Nibelungen 01 - Der Rabengott
legen. Offenbar mit Erfolg, denn die anderen hielten abermals an. »Sagt mir erst, wer Ihr seid und was Ihr im Schilde führt.«
Dieselbe Stimme, die eben schon gesprochen hatte, meldete sich erneut zu Wort: »Es ist eine üble Gegend, und eine noch üblere Zeit. Ich würde gerne einen Blick auf Euch werfen, bevor ich Euch Vertrauen schenke.«
»Erst Eure Namen und Eure Bestimmung!« verlangte Hagen beharrlich.
Schweigen, dann: »Also gut.« Der Mann klang keineswegs überzeugt. Es war nicht zu überhören, daß er Angst hatte. Hagen entspannte sich ein wenig.
»Meine Leute bleiben zurück, und ich komme näher. Wir werden reden, nur wir beide. Seid Ihr einverstanden?«
»Und Euer Name?«
»Runold, auf dem Weg nach Zunderwald.«
Hagen wußte, daß er nun keine andere Wahl mehr hatte, als den Mann herankommen zu lassen. Er wandte den Kopf so gut es ging der Stimme entgegen. »Kommt«, rief er dann und fügte hinzu: »Langsam.«
Ein einzelnes Pferd trottete heran, blieb kurz vor ihm stehen. Raben krächzten ganz in der Nähe. Etwas flatterte. Er war nicht sicher, ob es die Federn seines Kragens oder nahe Vogelschwingen waren.
Runold blieb lange Zeit still. Offenbar bemühte er sich, Hagen in der Dunkelheit so genau wie möglich zu betrachten. Als er schließlich wieder sprach, klang neue Ehrfurcht aus seiner Stimme: »Verzeiht, wenn wir Euren Unmut herausgefordert haben, Herr«, sagte er unterwürfig. »Ich… ich ahnte ja nicht, daß Ihr es seid.«
Hagen war sicher, daß er niemanden mit dem Namen Runold kannte. Andererseits hatte er an der Seite so vieler Männer gekämpft, deren Namen er nie erfahren hatte, daß dieser hier durchaus einer von ihnen sein mochte. Die Stimme jedenfalls war ihm fremd; sie verriet, daß Runold schon älter sein mußte. »Sollte ich Euch kennen?« fragte Hagen unsicher.
»Nicht mich, Herr«, gab der andere zurück. »Ich bin nur ein fahrender Gaukler, nichts sonst. Ganz unbedeutend neben Eurer Größe.«
Was faselte der Kerl da? Sein Unbehagen stieg.
»Was sagtet Ihr, wohin Euch Euer Weg führt?«
»Nach Zunderwald. Ein Dorf unten am Strom. Wir wollen die Leute dort mit unseren Künsten unterhalten.«
»Künsten oder Kunststücken?«
»Wie immer Ihr es nennen mögt, Herr.«
Runold verlangte nicht länger, daß Hagen seinen Namen nannte – und daß, obgleich er doch eben noch so voller Mißtrauen gewesen war. Hagen entschied, daß es an der Zeit war, diese Begegnung zu einem Ende zu bringen.
»Ihr habt nicht vielleicht ein wenig Wegzehrung, die Ihr einem hungrigen Fremden abtreten könntet?« Hagen schämte sich, fühlte sich jetzt schon wie die blinden Bettler in den Gassen, aber er wußte keine andere Möglichkeit, seinen Hunger zu stillen.
Verwunderung schwang in Runolds Stimme. »Nicht viel, Herr. Aber wenn Ihr etwas davon benötigt, so wollen wir gerne mit Euch teilen.«
»Die Götter werden Euch Eure Freundlichkeit vergelten«, sagte Hagen.
»Die Götter, Herr?«
»Seid Ihr Christen?« Hagen zog scharf die Luft ein, um seinen Unmut zu zeigen. »Nun, sicher wird der Christengott Eure Güte ebenso zu schätzen wissen.«
»O nein, Herr, keiner von uns ist getauft, das ist es nicht.« Runold stockte und rang hörbar um die richtigen Worte. »Aber… seid Ihr denn nicht der, der Ihr scheint?«
Hagen war durch Runolds merkwürdiges Verhalten – seine Scheu, die sich in Ergebenheit und nun wieder in Zweifel gewandelt hatte – mehr als verwirrt. Die Tatsache, daß er das Gesicht des anderen nicht sehen, nicht in seinem Ausdruck lesen konnte, verstörte ihn zutiefst.
»Wer glaubt Ihr denn, daß ich bin?« fragte er mit betonter Härte.
»Nun, ich…«, stammelte Runold. »Wißt Ihr, die Raben auf Euren Schultern…«
Die Raben auf meinen Schultern? Etwas in Hagens Kopf schlug Alarm. Vermochte die Dunkelheit den Alten so zu täuschen, daß er den Federkragen für lebende Vögel hielt?
Hagen horchte abermals auf das Krächzen. Es klang sehr nahe, fast an seinem Ohr. Aber ein Helm konnte Geräusche verzerren.
»Man hört nur von einem, der solche Macht über Raben besitzt«, sagte Runold.
Hagen schob alle Vorbehalte von sich. In seiner Lage mußte er jeden Vorteil nutzen, und wenn eine Täuschung ihm Macht über Runold und die seinen verlieh, nun gut, dann würde er sie nicht verschmähen. »Ihr habt recht«, sagte er kalt. »Ich bin der, für den Ihr mich haltet.«
Runold zögerte noch einen Moment, dann klang seine Stimme erfreut. »Ich wußte es gleich, als
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